Die Universität ist 50 Jahre alt – ein Anlass zum Feiern und ein Anlass zum Nachdenken. Der Workshop „Kontroversen“ will Anstöße zum Nachdenken geben. Dafür nimmt er Geschehnisse und Personen aus der Geschichte der Universität in den Blick, die kontrovers gesehen wurden, und wirft die Frage auf: Wie blickt die Universität heute darauf? Die Veranstaltung am kommenden Mittwoch, 4. Dezember, und am Freitag, 6. Dezember, ist öffentlich. Interessierte aus Universität und Stadt sind willkommen und eingeladen, über drei Kontroversen aus 50 Jahren zu diskutieren.
Der zweitägige Workshop ist Teil des wissenschaftlichen Programms zum Jubiläum der Universität Bielefeld. Organisiert wird er von Professorin Dr. Ulrike Davy von der Fakultät für Rechtswissenschaft und Dr. Stephan Becker, Kanzler der Universität Bielefeld.
„In den vergangenen 50 Jahren war die Universität Bielefeld immer auch ein Ort von Auseinandersetzungen“, sagt Ulrike Davy. „Es gab Streit um die richtige Hochschulpolitik. Es gab Streit über die Inhalte von Fächern. Und es gab umstrittene Personen. Unser Workshop will drei dieser Kontroversen reflektieren, nicht erneut austragen.“
„Wir fokussieren dabei zwei Fragen: Wie sehen wir die Kontroversen heute? Was ist unsere Streitkultur?”, sagt Stephan Becker. „Mit diesen Fragen stellt sich die Universität Bielefeld auch ihrer eigenen Vergangenheit.“
In zwei Panels am kommenden Mittwoch und einem Panel am kommenden Freitag diskutieren sowohl Zeitzeuginnen und Zeitzeugen als auch Personen, die die Kontroversen nicht persönlich erlebt haben. Alle Diskussionsteilnehmenden haben einen Bezug zur Universität Bielefeld. Die drei Panels sind öffentlich und können ohne Anmeldung besucht werden. Sie finden im Gebäude X (Hörsaal X-E0-001) statt:
Panel I „Studienbeiträge und Streitkultur“
Mittwoch, 4. Dezember von 14.00 bis 15.30 Uhr
Die Einführung von Studienbeiträgen im Sommer 2006 an der Universität Bielefeld war von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Das Treffen des Senats, das den entscheidenden Beschluss fasste, wurde gestört und gestürmt. Danach besetzten Studierende wochenlang Räume des Rektorats. Toilettenanlagen und Zimmer von Senatsmitgliedern waren Ziel von Brand- und Schmieranschlägen. Der damalige Rektor, Professor Dr. Dieter Timmermann, erhielt, weil er gefährdet war, für einige Zeit Personenschutz. Wie sind die Ereignisse heute zu sehen – vor allem unter dem Blickwinkel der Streitkultur, vielleicht auch einer studentischen Streik-Kultur? Wo verlaufen die Grenzlinien zur Gewalt? Und mit Blick auf aktuelle Entwicklungen: Wie positioniert sich die Universität zu einer Bewegung von rechts?
Es diskutieren: die Bundestagsabgeordnete Dr. Wiebke Esdar (SPD), der Konfliktforscher Professor Dr. Wilhelm Heitmeyer, der frühere Rektor Professor Dr. Dieter Timmermann, Moderator ist der Rechtswissenschaftler Professor Dr. Johannes Hellermann.
Panel II „Reformpädagogik: Jüngere Vergangenheit und Zukunft“
Mittwoch, 4. Dezember von 16.00 bis 17.30 Uhr
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bielefeld gründeten in den 1970er-Jahren die Laborschule und das Oberstufen-Kolleg – zwei Versuchsschulen, die reformpädagogisch arbeiten. „Reformpädagogik“ steht für eine Alternative zum traditionellen Regelschulsystem mit Inhalten, die sich aus einen bestimmten fachlichen Wissenskanon speisen. Reformpädagogik hat den Anspruch, Erziehung und Bildung von den Kindern her zu denken. Sie verspricht Freiheit im Denken, Selbstbestimmung und Lernen ohne Zwang. Die Reformpädagogik führte einerseits zu Kontroversen, weil sie die traditionelle Arbeitsweise des Schulsystems in Frage stellt. Andererseits haben jedoch insbesondere die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule Ober-Hambach dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren vermehrt auch die Ideen der Reformpädagogik selbst einer Revision unterzogen wurden. Im Panel geht es um dieses Spannungsfeld und seine Bedeutung gerade auch für die Reformuniversität Bielefeld.
Es diskutieren: die Erziehungswissenschaftlerin Professorin Dr. Sabine Andresen und die Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Volker Kraft und Professor Dr. Heinz-Elmar Tenorth, die Moderation übernehmen die Rechtswissenschaftlerin Professorin Dr. Ulrike Davy und der Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Oliver Böhm-Kasper.
Panel III „Helmut Schelsky: Umstrittene Gründungsfigur“
Freitag, 6. Dezember von 9.00 bis 11.00 Uhr
Nach dem Gründungsnarrativ ist Professor Dr. Helmut Schelsky Gründer und Planer der Universität in Ostwestfalen (später: Universität Bielefeld). Der Soziologe schrieb die Blaupause für das Zentrum für interdisziplinäre Forschung, für die er sich Inspiration in Princeton und Paris holte. Er engagierte sich also nicht nur in der Nachkriegswissenschaft, sondern auch in der Hochschulpolitik. In späteren Jahren war Schelsky verärgert über die eigene Fachdisziplin, verließ Bielefeld im Streit und verbrachte seinen Lebensabend im österreichischen Burgenland. Noch in der Planungsphase für die Universität in Bielefeld hatte ihn seine Vergangenheit als junger Wissenschaftler in Leipzig eingeholt. 1934 hatte er eine Schrift veröffentlicht, in der er sich zum Nationalsozialismus bekannte. Eine in den 1960er-Jahren darüber geführte öffentliche Debatte stellte seine hochschulpolitische Autorität in Frage. Wer war Helmut Schelsky aus heutiger Sicht?
Es diskutieren: Die Philosophin Dr. Kinga Golus, die Rechtswissenschaftlerin Professorin Dr. Ulrike Davy, der Politikwissenschaftler Professor Dr. Oliver Flügel-Martinsen, die Historikerin Professorin Dr. Ingrid Gilcher-Holtey, der Soziologe Prof. Dr. Hermann Korte, Moderator ist der Philosoph Professor Dr. Martin Carrier.