Silva Danhash und Essa Albakkar haben in Syrien Schülerinnen und Schüler an der Grundschule und am Gymnasium unterrichtet. In Deutschland ist ein Wiedereinstieg in die Schule nicht einfach. Das Programm Lehrkräfte Plus an der Universität Bielefeld unterstützt sie, in Deutschland einen Weg zurück in ihren Beruf zu finden. Im Interview sprechen die beiden geflüchteten Lehrkräfte von ihren schulischen Erfahrungen in Deutschland.
Frau Danhash, Sie haben in Syrien mehrere Jahre als Grundschullehrerin gearbeitet. Als Teil des Programms absolvieren Sie zurzeit ein Praktikum in einer Bielefelder Schule. Was ist Ihr Eindruck?
Silva Danhash: In Syrien haben wir uns als Lehrkräfte hauptsächlich auf die Übermittlung von Informationen konzentriert. Mein Eindruck hier ist, dass neben den Informationen vor allem der Spaß am Lernen eine große Rolle spielt. Jedes Kind soll je nach seinem Niveau lernen. Ich habe das Gefühl, dass die Kinder hier glücklich sind. Das gefällt mir.
Herr Albakkar, Sie haben Lehrkräfte Plus bereits im vergangenen Jahr erfolgreich abgeschlossen und arbeiten mittlerweile als Lehrer an einer Schule in Arnsberg. Wie war Ihr Weg dorthin?
Essa Albakkar: Ich habe zehn Jahre lang als Mathematiklehrer an einem Gymnasium in Syrien gearbeitet. Als ich vor fünf Jahren in Deutschland angekommen bin, musste ich erst einmal Deutsch lernen. Nebenbei habe ich beim Roten Kreuz und ehrenamtlich an einem Gymnasium als Hausaufgabenbetreuer gearbeitet. Meine Vorgesetzten haben mir beide das Programm Lehrkräfte Plus an der Universität Bielefeld empfohlen. Durch das Programm konnte ich meine Deutschkenntnisse auf ein hohes Niveau bringen, das deutsche Schulsystem kennenlernen und die Mathematikdidaktik vertiefen. Ohne das Angebot könnte ich heute nicht alleine in Deutschland unterrichten. Durch Lehrkräfte Plus vertrauen die Schulen unserem Können.
Wie wurden Sie als Lehrkräfte an den Schulen aufgenommen?
Essa Albakkar: Ich habe zum Glück eine sehr gute Beziehung zu meinen Schülerinnen und Schülern. Sie loben mich manchmal sogar. Was mir schwer fällt, ist die Umgangssprache der Jugendlichen. Ich habe einmal nach einer Liste mit den Wörtern der Jugendlichen im Internet gesucht. Aber wenn ich etwas nicht verstehe, erklären mir die Schülerinnen und Schüler es mit anderen Worten.
Silva Danhash: Bereits an meinem ersten Tag im Praktikum hatte ich ein gutes Gefühl. Alle anderen Lehrkräfte im Kollegium unterstützen und motivieren mich. Die Atmosphäre gefällt mir sehr gut. Das gibt mir Hoffnung, dass ich auch in Deutschland als Lehrerin arbeiten kann.
Welche Herausforderungen sind Ihnen auf Ihrem beruflichen Weg bisher begegnet?
Silva Danhash: Zunächst ist die Sprache natürlich eine Herausforderung. Außerdem ist Schule in Deutschland ganz anders: Es gibt mehr Klassendiskussionen als in der Schule in Syrien. Das ist eine Umstellung. Mir hilft da besonders, dass es den anderen Teilnehmenden ähnlich geht und wir uns im Programm begleitend zum Schulpraktikum immer wieder austauschen.
Essa Albakkar: Außerdem ist das deutsche Schulsystem mit den verschiedenen Aufgaben eine Herausforderung für mich. Ich habe im Programm so viele neue Methoden kennengerlernt. Ich brauche viel Vorbereitungszeit, um die passende Methode für jedes Lernniveau im Unterricht auszuwählen. Dafür investiere ich viel Zeit. Aber das will ich auch. Schule ist meine Welt.
Warum bedeutet Schule für Sie so viel?
Essa Albakkar: Schule ist ein Teil der Gesellschaft. Mathematik und das Leben sind eng verknüpft. Ich versuche meinen Schülerinnen und Schülern aufzuzeigen, wo sie im Alltag Mathematik finden.
Silva Danhash: Die Arbeit und der Umgang mit Kindern machen mir sehr viel Spaß. Ich finde es wichtig, dass wir durch unsere verschiedenen Nationalitäten voneinander lernen. Für das Programm Lehrkräfte Plus bin ich aus Hessen nach Bielefeld bekommen. Ich hoffe, dass es bald noch mehr dieser Angebote auch in anderen Bundesländern gibt.
Essa Albakkar: … und in Bielefeld dauerhaft etabliert wird. So könnten noch viel mehr geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer den Einstieg in das deutsche Schulsystem schaffen.
Das einjährige Programm Lehrkräfte Plus an der Universität Bielefeld qualifiziert seit 2017 geflüchtete Lehrkräfte für den Schuldienst an deutschen Schulen, die in ihrem Heimatland schon als Lehrerinnen und Lehrer gearbeitet haben. Im Jahr 2017 war es das erste Programm dieser Art in Nordrhein-Westfalen. Im ersten Halbjahr liegt der Schwerpunkt des Programms darauf, die bestehenden Deutschkenntnisse zu verbessern. Im zweiten Halbjahr erfolgen die fachliche Weiterqualifizierung und ein mehrmonatiges Schulpraktikum. Pro Jahrgang können 25 Personen am Programm teilnehmen. Die Teilnehmenden des ersten Jahrgangs Lehrkräfte Plus in Bielefeld haben das Programm bereits absolviert, der zweite Jahrgang hat kürzlich die Praktika in Schulen begonnen, die Bewerbungsphase für den dritten Jahrgang lief bis Ende Februar.