Wie gelingt es, ein Bett im Hotelzimmer vorschriftsmäßig herzurichten? Welchen Putzlappen und welches Putzmittel nutze ich wofür? Dies sind Herausforderungen für alle Mitarbeitenden im Hotel- und Gaststättengewerbe, vor allem für Menschen mit Behinderungen. Anleitungen sind oft komplex formuliert oder nicht barrierefrei. Ein Team der Universität Bielefeld um Juniorprofessorin Dr. Anna-Maria Kamin entwickelt im Projekt „Digitalisierung.Inklusion.Arbeit.“ (DIA) eine digitale Lernumgebung, um Menschen mit und ohne Einschränkungen an ihrem Arbeitsplatz im Hotel oder in der Gaststätte zu unterstützen.
Frau Kamin, Sie wollen in Ihrem Forschungsprojekt Digitalisierung, Inklusion und Arbeit zusammenbringen – wie?
Wir schauen zunächst, wie Menschen mit und ohne Behinderung im Hotel- und Gaststättengewerbe digitale Lernangebote bereits nutzen, aber auch welche sie benötigen und sich wünschen. Es gibt in diesem Arbeitsfeld viele standardisierte Aufgaben, bei denen eine digitale Umgebung helfen könnte. Aber Menschen mit Beeinträchtigungen haben spezielle Bedürfnisse: Wer geringe Sprachkenntnisse hat, sucht nach Apps und Informationsangebote mit leicht verständlichen Anweisungen. Hörgeschädigte Personen benötigen Anwendungen die durch Gebärden oder Schrift unterstützt sind. Wir möchten eine digitale Lernumgebung erschaffen, die jeden Bedarf berücksichtigt. Mein medienpädagogisches Team bereitet für technische Prototypen Lerninhalte entsprechend auf. Basierend auf den Beobachtungen und Befragungen in der Praxis können wir beispielsweise Gestaltungshinweise für die digitalen Anwendungen geben. Diese Versionen testen und überarbeiten wir danach immer wieder in der Praxis.
Was ist neu an Ihrer Herangehensweise?
Wir wollen Inklusion, Digitalisierung und Arbeit nach dem Prinzip des „Universal Designs“ neu denken: Die Lernumgebung, die wir schaffen, soll für möglichst viele Menschen nutzbar sein, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Ausbildung. Gewisse Lerninhalte – das wird sich nicht vermeiden lassen – müssen spezifisch angepasst bleiben. Es wird nicht leicht sein, die richtige Balance hinzukriegen. Aber wir wollen daran mitwirken, die großen Themen Digitalisierung und Inklusion weiter zusammenzubringen.
Warum ist das bisher so schwer?
Weil wir diese beiden großen Themen – nicht nur in der Forschung – bisher oft getrennt voneinander denken und weiterentwickeln. Viel zu selten sehen wir, dass sich Inklusion und Digitalisierung gegenseitig ergänzen. Ich sehe die Aufgabe meiner Professur darin, die Potenziale beider Themen zusammenzuführen. Für das DIA-Projekt heißt das: Wir schaffen eine digitale Lernumgebung, die der Raum sein kann für gelebte Inklusion am Arbeitsplatz. Wir können uns einen Chat als Modul der Lernumgebung vorstellen, in dem Menschen mit und ohne Beeinträchtigung Fragen zu ihrer Arbeit im Hotel- und Gaststättengewerbe beantworten und umgehend umsetzen können – nur einer von vielen möglichen Ansätzen.
Juniorprofessorin Dr. Anna-Maria Kamin forscht seit Oktober 2017 in ihrer Erstprofessur an der Universität Bielefeld. Bisherige Stationen ihrer wissenschaftlichen Karriere waren die Universität Paderborn und die Universität zu Köln. Im Projekt DIA kooperiert das Bielefelder Team mit dem Mediendienstleister RLS jakobsmeyer für die technische Umsetzung der digitalen Umgebung und dem Hotel Aspethera in Paderborn, das von der Stiftung Kolping-Forum betrieben wird. Die Projektpartner, Unterstützer und potenziell kooperierenden Einrichtungen kommen am 13. November zu einer Kick-Off-Veranstaltung zusammen. Das dreijährige Projekt DlA wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union (ESF) mit rund 1,2 Millionen Euro gefördert.