Seit 2017 ist in vielen europäischen Ländern scheinbar alles Wichtige über die Rückgabe von Kulturgütern, die während des 19. und 20. Jahrhunderts aus kolonialen Zusammenhängen nach Europa verbracht wurden, diskutiert worden. Ein Wendepunkt war die Übergabe der königlichen Schätze von Abomey an die Republik Benin im Jahr 2021. Diese Schätze, 1892 von französischen Truppen erbeutet und lange in Paris ausgestellt, symbolisieren mit ihren 2,5 Tonnen ein bedeutendes Stück Erinnerungskultur. Ihre Rückgabe läutete eine neue geopolitische Ära im Umgang mit afrikanischem Erbe ein. Der Erfolg des Films “Dahomey” von Mati Diop (2024), der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt und den Goldenen Bären der letzten Berlinale gewann, unterstreicht die Bedeutung dieser Aktion. Solche Restitutionen verdeutlichen, dass die physische Rückführung von kulturell und historisch wertvollen Gütern die im Sarr-Savoy-Bericht von 2018 beschriebenen “tektonischen Verschiebungen” herbeiführen kann. Diese Angelegenheiten betreffen nicht nur Museen und Kulturstätten, sondern wirken sich auch auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum wird das Thema Restitution, trotz bereits erzielter Erfolge einiger afrikanischer Staaten, die damit den Weg für kulturelle Gerechtigkeit ebneten, immer wieder aufgegriffen?
Bénédicte Savoy ist eine der international führenden Expert:innen für Translokationen von Kunstwerken, Kunstraub und Beutekunst. Ihr Studium und ihre Promotion (2000) absolvierte sie in Paris. Seit 2009 ist sie Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der TU Berlin, von 2016–2021 hatte sie zudem einen Lehrstuhl am Collège de France inne. 2018 beriet sie zusammen Felwine Sarr den französischen Staatspräsidenten zu den Bedingungen der Restitution afrikanischer Kulturgüter von Frankreich an die Herkunftsländer. Savoy ist Mitglied mehrerer Akademie er Wissenschaften und wurde für ihre Forschungen vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Leibniz-Preis der DFG (2016). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Museums- und Sammlungsgeschichte, Kunst- u. Kulturtransfer, Translokationsforschung, Kunstraub und Beutekunst sowie deutsch-französische Beziehungen. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen, die ein breites internationales Echo erhielten, gehören u.a. Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland (2023), Beute. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe (2021), Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage (2021). Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt sie zudem als Kuratorin mehrerer Ausstellungen in Deutschland wie Frankreich.