Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Migrant*innen waren in der Covid-19-Pandemie deutlich höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt als andere Bevölkerungsgruppen. Eine neue Studie zeigt ein um 84 Prozent höheres Infektionsrisiko und eine um 46 Prozent erhöhte Sterblichkeit bei Migrant*innen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Die Befunde stammen aus einer umfangreichen Forschungsarbeit unter Leitung der Universität Bielefeld, umgesetzt in Kooperation mit der UN-Migrationsagentur IOM und Forschenden des Universitätsklinikums Heidelberg sowie den schwedischen Universitäten Uppsala und Umeå. Die in eClinicalMedicine veröffentlichte Analyse umfasst Daten von mehr als 53 Millionen Menschen, darunter sowohl Migrant*innen als auch Einheimische aus 22 Ländern.
Der Studie zufolge führen vielfach systemische Barrieren zu schlechteren Gesundheitsergebnissen für Migrant*innen. Dazu gehören beengte Wohnverhältnisse, prekäre Arbeitsbedingungen und eingeschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung und sozialer Absicherung.
Migrant*innen anhaltend mit erhöhten Gesundheitsrisiken konfrontiert
„Nicht nur in den frühen Phasen, sondern während der gesamten Pandemie waren Migrant*innengruppen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren“, sagt der Studienleiter Professor Dr. med. Kayvan Bozorgmehr von der Universität Bielefeld. „Migrant*innen mit einer Sars-CoV-2 Infektion hatten zwar kein erhöhtes Risiko einer Krankenhauseinweisung. Jedoch verlief die Erkrankung häufig schwerer, was zu einer höheren Zahl von Einweisungen auf Intensivstationen führte. Während die klinischen Todesfälle unter Migrant*innen geringer waren, wahrscheinlich aufgrund ihres jüngeren Durchschnittsalters, war die bevölkerungsbezogene Sterblichkeit tendenziell höher, insbesondere in Ländern mit hohem Einkommen.“
Die Autor*innen leiten aus den Ergebnissen der Studie ab, dass Gesundheits- und Sozialpolitik inklusiver ausgerichtet werden muss. „Nationale Pandemiepläne müssen Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Migrant*innengruppen adäquat berücksichtigen“, so Bozorgmehr.
© Foto li.: Universität Bielefeld/Britta Kirst, Foto re.: Universitätsklinikum Heidelberg/Dagmar Mohr
Lücken in Gesundheitsinformationssystemen erschweren präzise Bewertung
Die Studie umfasst Ergebnisse von 370 empirischen Berichten aus 17.088 Datensätzen, die bis September 2023 weltweit überprüft wurden. Sie enthält eine Meta-Analyse von mehr als 53 Millionen Teilnehmer*innen. Berücksichtigt wurden Studien zum Covid-19-Infektionsrisiko, zu Krankenhausaufenthalten, zur Aufnahme auf die Intensivstation, zur Sterblichkeit und zu Impfraten unter Migrant*innen.
„Unsere Untersuchung zeigt, dass die Gesundheitsinformationssysteme erhebliche Lücken bei der Erfassung von Migrationsmerkmalen aufweisen, wodurch Migrant*innen in vielen offiziellen Daten gewissermaßen unsichtbar sind“, sagt Maren Hintermeier, Erstautorin der Studie und Doktorandin an der Universität Bielefeld. Die Autor*innen folgern, dass der Mangel an Gesundheitsinformationen ein Hindernis für die präzise Bewertung gesundheitlicher Ungleichheiten bei Migrant*innen und die Planung angemessener Maßnahmen darstellt, diese zu reduzieren. Dies zeigte sich besonders deutlich bei den Ungleichheiten bei Impfungen. Zwar berichteten nur acht Prozent der einbezogenen Studien über Daten zur Durchimpfungsrate in Migrant*innengruppen, zwei Drittel dieser Studien stellten jedoch niedrigere Impfraten von Migrant*innen im Vergleich zu Nicht-Migrant*innen fest.
UN-Migrationsagentur IOM betont Bedeutung der Studienergebnisse
„Diese globale Studie belegt deutlich die Auswirkungen von Pandemien auf Migrant*innen weltweit. Sie weist zugleich auf wirksame Strategien hin, um die öffentliche Gesundheit durch die Einbeziehung von Migrant*innen in regionale, nationale und globale Maßnahmen besser zu schützen“, so Dr. Poonam Dhavan, Direktorin der Abteilung Migration und Gesundheit bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM), der UN-Migrationsbehörde. „Die in diesem Bericht vorgestellten Erkenntnisse und Lösungen können politische Entscheidungsträger*Innen und Programmverantwortliche dabei unterstützen, Strategien und Interventionen zu entwickeln, die nicht nur die Chancengleichheit von Migrant*innen fördern, sondern auch zu einem besseren Gesundheitsschutz für die gesamte Bevölkerung führen. Diese Lehren dürfen in künftigen gesundheitlichen Notlagen nicht vergessen werden.“
Koordiniert wurde die Studie von der Rapid Review Response Unit (RRRUn) an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Diese Einheit sammelt und analysiert systematisch Erkenntnisse über Einflussfaktoren auf die Gesundheit sowie zu Interventionen in der Bevölkerung. Ziel ist es, evidenzbasierte Entscheidungen im Gesundheitssystem zu unterstützen.
Herausgegeben von „eClinicalMedicine“
Erschienen ist die Studie in der Fachzeitschrift „eClinicalMedicine“. Das Magazin ist Teil von The Lancet Discovery Science, einer Reihe von Open-Access-Zeitschriften, und fokussiert auf klinische Forschung und Praxis, von Diagnose und Behandlung bis zu Prävention und Gesundheitsförderung. Laut dem Datendienstleister Clarivate liegt eClinicalMedicine auf Platz 12 von 325 Zeitschriften in der Kategorie „Allgemeine und Innere Medizin“, mit einem Impact-Faktor von 9,6 (2023).