Die moderne Welt verändert sich rasant. In der Vormoderne, also vor dem Jahr 1700, war die Gesellschaft hingegen statisch, das Leben veränderte sich kaum. Diese Sicht der Geschichte ist verbreitet, aber wohl falsch: Bei der Tagung „Veränderung aus sich selbst heraus – Eigendynamik in vormodernen Gesellschaften“ diskutieren Forscher*innen vom 12. bis zum 14. Februar am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld über den gesellschaftlichen Wandel vor der Moderne. Die aktuelle Trägerin des Bielefelder Wissenschaftspreises, die Historikerin Professorin Dr. Barbara Stollberg-Rilinger, hält einen Abendvortrag.
„Die vormodernen Gesellschaften weisen Elemente auf, die aus sich heraus für ständigen Wandel sorgten“, so der Historiker Professor Dr. Franz-Josef Arlinghaus, der die Konferenz mit seinem Fachkollegen Professor Dr. Andreas Rüther leitet. Beide Wissenschaftler forschen an der Universität Bielefeld. Wie die Gesellschaften sich veränderten, sei spezifisch vormodern, sagt Arlinghaus. Dennoch hätten sie sich ständig gewandelt und ausdifferenziert. Dazu habe die für mittelalterlich-frühneuzeitliche Gesellschaften typische Gruppenbildung – die Menschen definierten sich über die Zugehörigkeit zu einem Kloster, einer Zunft, einer adligen Familie –, die ständische Ordnung und die Konsensorientierung beigetragen. Nach 1700 habe es dann eine vergleichsweise rasche Umgestaltung zur Moderne gegeben.
Diese These haben die beiden Organisatoren der Tagung bislang vor allem für Westeuropa ausgearbeitet. Während der Tagung möchten sie diskutieren, ob sich diese spezifisch vormodernen Konstellationen auch in anderen Weltregionen finden und dort vergleichbare Eigendynamiken erzeugen. „Dafür kommen wir mit Spezialist*innen für andere Weltregionen zusammen“, sagt Franz-Josef Arlinghaus.
Die Forschenden loten während der Tagung nicht nur aus, inwiefern Eigendynamik den sozialen Wandel in der Vormoderne angetrieben hat. Sie wägen diesen auch gegen die Bedeutung anderer möglicher Ursachen für Veränderungen ab, etwa den Kulturtransfer. „Zudem setzen wir ein Fragezeichen hinter die in jeder Weltregion prominenten ‚Sonderwegerzählungen‘, die davon handeln, dass die eigene Modernität über Jahrhunderte zurückreichende Wurzeln habe und in einer je eigenen, spezifischen Kultur gründe“, so Professor Dr. Andreas Rüther.
Am Mittwoch, 12. Februar, von 19.30 bis 20.45 Uhr hält die Historikerin Professorin Dr. Barbara Stollberg-Rilinger den Abendvortrag zum Thema „Verfahrensautonomie in der Vormoderne – von der Emergenz des Unwahrscheinlichen“. Stollberg–Rilinger ist Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin und Trägerin des Bielefelder Wissenschaftspreises.