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50 Jahre: Wirtschaft neu berechnet


Autor*in: Lisa Janowski

Die Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bielefeld verfolgten von Beginn an einen eigenständigen Weg. Am 28. November 1974 gründete die Universität ihre achte Fakultät mit 138 Studierenden, fünf Lehrenden und einem bis dato einzigartigen Hang zur Mathematik. Der besondere Charakter der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften zeigt sich heute durch ihre interdisziplinäre Forschung, ihren Studienansatz und ihre enge Verknüpfung von Theorie und Praxis.

An einem schummrigen Novemberabend am Rande Bielefelds in einem Ostwestfälischen Gasthaus treffen sich alte Bekannte, Freund*innen und vor allem Kommiliton*innen wieder. Sie sind aus allen Teilen Deutschlands angereist. Seit ihrem ersten gemeinsamen Studiensemester sind fast fünf Jahrzehnte vergangen. Sie alle sind Teil des ersten Jahrgangs von Wirtschaftsstudierenden der Universität Bielefeld, an der damals frisch gegründeten Fakultät. Gemeinsam erinnern sie sich an eine ganz besondere Aufbruchsstimmung.

Studieren zwischen Schloss Rheda und Oberstufen-Kolleg

„Die Fakultät nahm ihre Arbeit unter ungewöhnlichen Bedingungen auf, denn die Lehrveranstaltungen fanden zunächst im Oberstufen-Kolleg statt, während die Fakultätsräume, inklusive Bibliothek, im Schloss Rheda untergebracht waren“, erinnert sich Wieland Pieper, einer der ersten Studierenden. „Ich erinnere mich gerne an die Zeit in der sehr familiären Studienatmosphäre einer jungen Fakultät im Aufbruch zurück.“, an diese Anfangszeit.

Diese räumliche Trennung stellte die Studierenden und ihre Lehrenden vor erhebliche Herausforderungen. Der damalige Dekan Professor Dr. Klaus-Peter Kistner, unterstützt von Prodekan Professor Dr. Siegfried Katterle, sah sich mit schwierigen Rahmenbedingungen konfrontiert. Doch trotz fehlender Räume gelang es der Fakultät, die ersten, wichtigen Schritte zu gehen.

Drei Männer um die siebzig sitzen im Restaurant nebeneinander
Alumi-Treffen nach 50 Jahren Studienbeginn: Wieland Pieper, schrieb die erste Diplomarbeit an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften über die Qualität von Generatoren für normalverteilte Zufallszahlen.

Diplom-Volkswirt*innen mit einem Hang zur Mathematik

Nach der Gründung im November 1974, nahm die Fakultät ihren Lehrbetrieb auf. Mit Fertigstellung des Neubaus, dem heutigen Hauptgebäude der Universität, konnte die Fakultät 1976 die eigens errichteten Räumlichkeiten beziehen. Von Beginn an zeichnete sich die Fakultät durch ihre starke Verbindung zur Mathematik und Empirischen Methoden aus. Das Institut für Mathematische Wirtschaftsforschung (IMW) bestand bereits seit 1970. Ihm gehörten renommierte Ökonomen wie die Professoren Dr. Carl-Christian von Weizsäcker und Dr. Reinhard Selten an. Letzterer erhielt 1994 als bisher einziger Deutscher den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Arbeit zur Spieltheorie.

Die starke Verknüpfung zur Mathematik passte jedoch nicht zu allen 138 Studierenden. Viele wechselten nach einem oder zwei Semestern an andere Universitäten. Vom ersten Jahrgang erhielten ganze zehn Absolvent*innen ihr Diplom an der Universität Bielefeld. Der mathematische Fokus wurde zum Alleinstellungsmerkmal der Fakultät.

Ergänzung durch die Betriebswirtschaftslehre

Wurde zum Studienstart zunächst nur Volkswirtschaft gelehrt, ergänzte ab dem Wintersemester 1979/80 auch Betriebswirtschaftslehre das Curriculum der Fakultät. Das Fach war von Anfang an stark in Operations Research (Unternehmensforschung) verankert, einem quantitativ-mathematischen Bereich der Betriebswirtschaftslehre.

Auch das Studienmodell hob sich früh von traditionellen Systemen ab: Prüfungen und Leistungsnachweise wurden kontinuierlich über Hausarbeiten, Klausuren und Referate während des Semesters erworben, statt durch die damals übliche große Zwischenprüfung. Dieser innovative Ansatz trug neben der Lehre ebenfalls zur stetig wachsenden Zahl von Studierenden bei.

Neue Abschlüsse bieten neue Chancen

2002 brachte der Bologna-Prozesses eine tiefgreifende Zäsur. Die Universität Bielefeld war eine der ersten beiden Universitäten Deutschlands, die den Bachelor und den Master als Studienabschlüsse in der Breite einführten.

Das Programm „Uni Plus“ ermöglichte weitere strukturelle Veränderungen. Durch zusätzliche Landesmittel konnten Professuren für weitere Forschungs- und Lehrschwerpunkte eingerichtet werden. Die Fakultät schuf so als eine der ersten Fakultäten Deutschlands einen Data-Science-Schwerpunkt, der im Bachelor und im Master integriert wurde.

Die Umstellung auf Bachelor und Master war ein sehr großer Einschnitt, der aber auch viele Chancen bot. Für die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften ergab sich ein besseres Betreuungsverhältnis von Studieren und Dozierenden. Außerdem gab es nun größere Flexibilität in der Setzung von Lehrschwerpunkten. So ist das dritte Bachelor-Jahr eine Profilbildungsphase, in der die Studierenden ihren Interessen nachgehen können.
Herrmann Jahnke, ehem. Dekan (2015-2023) der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften

Kooperation vertieft Forschung mit Familienbetrieben  

Ein Meilenstein in der praxisnahen Forschung der Fakultät war die Gründung des Instituts für Familienunternehmen Ostwestfalen-Lippe (iFun) im Jahr 2014 gemeinsam mit der Fakultät für Rechtswissenschaft. Das Institut entstand unter Leitung von Professor Dr. Fred Becker und Professor Dr. Hermann Jahnke in enger Zusammenarbeit mit regionalen Wirtschaftsvertreter*innen wie dem damaligen Präsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ortwin Goldbeck und IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff.

Das Institut basiert auf dem Konzept der „Einheit von Forschung, Lehre und Transfer“ und soll die Zusammenarbeit zwischen den Forschenden der Universität Bielefeld und den regionalen Familienunternehmen vertiefen. Als Ergänzung zur 2014 eingerichteten Stiftungsprofessur „Führung von Familienunternehmen“ ermöglicht es, Theorie und Praxis eng zu verzahnen und innovative Lösungsansätze für die spezifischen Herausforderungen von Familienunternehmen zu entwickeln.

Internationale Vernetzung: BiGSEM und BU2BU

Ein weiteres Aushängeschild der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften ist die BiGSEM (Bielefeld Graduate School of Economics and Management, (Bielefelder Graduiertenschule für Ökonomie und Management), die ein strukturiertes und umfassendes Promotionsprogramm in Wirtschaft und Management anbietet. Die Doktorand*innen haben dabei die Möglichkeit, sich auf eines von vier Profilen zu spezialisieren: Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaften, Management oder Data Science.

Darüber hinaus soll die Initiative BU2BU (Best Undergraduates to Bielefeld University), (Beste Studierende an die Universität Bielefeld), in der Fakultät hochqualifiziertem Nachwuchs für Aufgaben in Wissenschaft und Wirtschaft identifizieren und fördern. Die Universität Bielefeld arbeitet dabei mit einer Reihe von Unternehmen zusammen, um junge Leistungsträger*innen in einem frühen Lebensabschnitt mit der Region und ihren Unternehmen vertraut zu machen.

Breit aufgestellte Absolventen seit 50 Jahren

Mit einer klaren Ausrichtung auf innovative Forschung und praxisorientierte Lehre hat die Fakultät so immer wieder neue Akzente gesetzt. Durch die verschiedenen Institute und die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen hat sie einen einzigartigen Fokus geschaffen, der das Wirtschafts­studium in Bielefeld besonders prägt. Diese Kombination ermöglicht es den Studierenden, über den klassischen Tellerrand hinauszuschauen und auf die komplexen Anforderungen der modernen Wirtschaft vorbereitet zu sein.

Die Institutsgründungen oder das Bachelor- und Mastersystem fielen schon nicht mehr in die aktive Studienzeit der Absolvent*innen vom Beginn des Textes. Viele von Ihnen genießen seit mehreren Jahren den Ruhestand oder bereiten sich durch Altersteilzeit darauf vor. Doch eines haben sie auch mit den heutigen Absolvent*innen gemein – eine breit gefächerte Ausbildung und vielfältige Einsatzmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Die um die 70-Jährigen haben unterschiedlichste Karrieren zu verzeichnen. Sei es Geschäftsführung unterschiedlicher Unternehmen, Ministerämter, journalistische Berufe oder kaufmännische Direktorentätigkeiten. Nicht wenige von ihnen blicken auf einen vielfältigen Lebenslauf in unterschiedlichen Unternehmen zurück.

Zukunftsperspektiven

50 Jahre nach ihrer Gründung steht die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Bielefeld auf solidem Fundament. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Forschungsinitiativen und der starke Praxisbezug hat sich die Fakultät in den vergangenen fünf Jahrzehnten einen Namen in der Hochschullandschaft gemacht.

Für die Zukunft plant die Fakultät, ihre internationale Vernetzung weiter auszubauen, neue Forschungsfelder wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit stärker in den Fokus zu rücken und empirische Forschung weiter zu stärken.

Unsere Fakultät hat sich in den letzten 50 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Wir sind stolz auf das Erreichte, aber gleichzeitig gespannt auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte
Professor Gerald Willmann, Ph.D., Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften