Der Sonderforschungsbereich (SFB) 1288 „Praktiken des Vergleichens“ widmet sich seit rund acht Jahren der Erforschung von Vergleichspraktiken und deren Einfluss auf historische, kulturelle und soziale Strukturen. Zeit für ein Resümee. Das Leitungsteam Professorin Dr. Antje Flüchter, Professor Dr. Maximilian Benz und Professor Dr. Martin Petzke blickt im Interview auf die vergangenen Projektphasen des interdisziplinären SFB zurück, spricht über Erkenntnisse, Erfolge und die Bedeutung der Forschung für unser Alltagsleben.
Welche Erkenntnisse über Vergleichspraktiken hat der SFB 1288 bisher gewonnen?
Martin Petzke: Dass Vergleiche in der Konstruktion einer kulturellen Hegemonie des Westens eine wesentliche Rolle spielen, ist spätestens seit Edward Saids Studie über den Orientalismus eine Selbstverständlichkeit. Die Feinmechanik des Vergleichens wurde bisher aber kaum in den Blick genommen. Diese Blackbox wollen wir im Sonderforschungsbereich öffnen, um die Wirkungen von Vergleichspraktiken spezifischer zu kartieren. Es geht uns also darum, die Logiken und Modalitäten des Vergleichens sowie ihren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen aufzuhellen.
Maximilian Benz: Wir haben hier wichtige Erkenntnisse über verschiedene Typologien des Vergleichens gewonnen, insbesondere über deren Explizitheit. Es macht einen Unterschied, ob ein Vergleich direkt angesprochen, subtil angedeutet oder teilweise verborgen bleibt. Ein Beispiel für implizites Vergleichen sind Abwertungen, bei denen die eigene Position stillschweigend als Maßstab dient. Solche Vergleiche dienen nicht nur der Selbstvergewisserung, sie institutionalisieren die damit verbundenen Selbstverständnisse geradezu.
Antje Flüchter: Eine weitere Typologie betrifft die Arten des Vergleichens, die sich auf Raum oder Zeit beziehen können. Zeitliche Vergleiche können den Eindruck von Fortschritt oder Rückschritt suggerieren. Auch spielt eine Rolle, ob der Vergleich visuell, sprachlich oder mit Zahlen erfolgt, da jede Form eigene Besonderheiten hat. Deutlich wird dies bei quantitativen Vergleichen, die oft wissenschaftlich und daher objektiv erscheinen. Die regelmäßige Wiederholung des Vergleichs, wie bei Rankings, ist ebenfalls ein entscheidender Modus, da die Wirkungen auf die Gerankten oft aus dieser Intervallförmigkeit des Vergleichs entstehen.
Maximilian Benz: Diese Typologien sind gemeinsamer Ertrag aller Projekte. Sie haben uns ein Instrumentarium geliefert, die Wirkungen von Vergleichen nuancierter und nüchterner zu beschreiben, als es in der postkolonialen Kritik bislang der Fall war. Dadurch können wir auch die grundlegende Frage nach der Genealogie der westlichen Moderne sowohl etwas anders stellen als auch mit neuem analytischen Besteck sezieren.
© Philipp Ottendörfer
Gab es unerwartete Ergebnisse?
Maximilian Benz: Absolut. Unsere Vergleichsforschung hat sich nicht nur mit der Konstruktion des harten epochalen Schnitts zwischen Vormoderne und Moderne auseinandergesetzt, sondern sie auch aufgeweicht. Denn der Vergleich zwischen beiden Epochen macht das Vergleichen selbst zum Gegenstand. Oft wird das Vergleichen als etwas spezifisch Modernes angesehen. Der „Moderne“ wird das bewusste, durchdachte Vergleichen zugeschrieben, das klar benannt wird. Unsere Projekte zeigen jedoch, dass dieser harte Schnitt nicht haltbar ist. In Mittelalter und Früher Neuzeit wurde verglichen, dies aber weniger expliziert und theoretisiert.
Antje Flüchter: Das Vergleichen war in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft mit ihren Rangstreitigkeiten eine alltägliche Praxis. Aber erst als sie im 18. Jahrhundert vor Gericht ausgetragen werden, werden die Hierarchien der zugrundeliegenden Kriterien reflektiert und theoretisiert. Von der Antike bis zur Gegenwart gibt es vielfältige und komplexe Vergleichspraktiken, wie das ethnographische Vergleichen im antiken Rom, das geschickt Kritik am Kaiser übte. Viele als „vormodern“ geltende Vergleichsmuster haben auch in der Moderne überdauert und erleben Renaissancen. „Moderne“ und „Vormoderne“ sind also auf vielfältige Weise ineinander verschränkt. Das verkompliziert den Epochenschnitt in vergleichstheoretischer Hinsicht erheblich. Uns interessieren die Wandlungsprozesse, die wir auf diese Weise differenziert beschreiben wollen.
Welche Synergien entstehen durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Teilprojekte und Fachrichtungen im SFB 1288?
Maximilian Benz: Interdisziplinarität ist in diesem SFB besonders spürbar. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in Bielefeld Soziologie und Politikwissenschaft schon immer stark historisch ausgerichtet waren und umgekehrt die Geschichts- und Literaturwissenschaft stark sozialtheoretisch orientiert sind. Die Grenzen waren von Anfang an fließend. Die Interdisziplinarität fordert uns alle. Wir müssen unsere engeren Fachperspektiven überwinden. Das ist kein Nullsummenspiel. Die Diskussion bereichert unsere jeweils standortgebundene Argumentation und ist Voraussetzung, um zu allgemein gültigen Urteilen zu gelangen.
Antje Flüchter: Wir selbst spüren diese Dynamik selbst bei Diskussionen im Leitungsteam, in dem ja Geschichte, Literaturwissenschaft und Soziologie repräsentiert sind. Die verschiedenen zeitlichen, sozialen und kulturellen Kontexte der Teilprojekte liefern einander Korrekturen, Bestätigungen und Relativierungen.
Martin Petzke: Fast möchte man mit Hegel sagen, das Wahre ist das Ganze.
Was lässt sich für das Alltagsleben aus den Forschungsergebnissen des Sonderforschungsbereichs lernen und anwenden?
Martin Petzke: Unser Vergleichsvokabular erlaubt einen analytischen Blick auf Vergleiche und deren Wirkungen, die im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig sind. Im SFB haben wir zum Beispiel Holocaust-Vergleiche untersucht und die Logik empörender und skandalierender Vergleiche hinterfragt. Unser Ansatz bewertet dabei Vergleiche nicht, er stellt vielmehr ihre komplexen Formen und Konsequenzen scharf. Er kann so nicht zuletzt über seine hochauflösende Begrifflichkeit der Versachlichung und Nuancierung einiger Debatten dienen, die sich an kontroversen Vergleichen leicht überhitzen.
Antje Flüchter: Unser Ziel ist tatsächlich nicht, die Richtigkeit und Angemessenheit der Vergleiche zu prüfen, sondern zu verstehen, wie Vergleiche funktionieren, wie sie die Welt stabilisieren und dynamisieren. Ein Beispiel: Das Aufkommen von Autovergleichen in Frauenzeitschrift der 1970er hat neue Automodelle beeinflusst, aber auch den Wandel von Geschlechterrollen. Das Vergleichen lässt sich durch unsere Analytik besser verstehen – Diskussionen können damit letztlich nüchterner und produktiver geführt werden.
© Philipp Ottendörfer
Wie planen Sie, die bisherigen Teilprojekte in Zukunft stärker miteinander zu verknüpfen?
Antje Flüchter: In der – hoffentlich – dritten Förderphase gehen wir der Frage nach der produktiven Kraft von Vergleichspraktiken für Wandlungsprozesse nach. Wir ziehen damit also zum einen das große Resümee aus acht Jahren Vergleichsforschung und heben zum anderen zur großen Frage nach dem historischen Wandel an – also dem nachhaltig durchgreifenden Wandel, der analytisch der Makroebene zuzuschlagen ist und oftmals in intimer Beziehung zu Vergleichspraktiken steht.
Wird es eine übergreifende Theorie der „Praktiken des Vergleichens“ geben?
Maximilian Benz: Genau das Versprechen einer solchen Theorie über das Verhältnis von Vergleichspraktiken und historischem Wandel wollen wir in der dritten Förderphase in unserem Theorielabor erarbeiten – aufbauend auf den Diskussionen in den Syntheseprojekten.