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Blended Intensive Programme: Eine neue Art zu lernen


Autor*in: Julia Bömer

Wer internationale Lehrveranstaltungen mit Studierenden und Lehrenden aus verschiedenen Ländern plant, kann seit Kurzem ein sogenanntes Blended Intensive Programme (kurz: BIP) aufsetzen. Ein Lehrformat, in dem internationale Online- oder Hybrid-Lehre mit einer kurzen gemeinsamen Präsenzphase kombiniert wird. Bielefelder Lehrende verschiedener Fakultäten haben hier erste Erfahrungen gesammelt – oft in Kooperation mit Lehrenden und Studierenden aus dem europäischen Hochschulnetzwerk NEOLAiA.

Blended Intensive Programmes wurden als neue Lehrform ins Leben gerufen, um Auslandserfahrungen für Studierende auf Bachelor-, Master- oder Promotionsebene zu ermöglichen, die bisher noch wenig oder gar keine internationalen Erfahrungen sammeln konnten. Etwa weil die Organisation eines ganzen Auslandssemesters zu komplex wirkt, weil nicht genügend finanzielle Mittel da sind oder weil bisher der Mut fehlte, ins Ausland zu gehen. Blended Intensive Programmes sollen hier ein niedrigschwelliges internationales Angebot sein. Drei Bielefelder Lehrenden-Teams berichten von ihren Erfahrungen.

Die eigene Geschichtsschreibung beleuchten

Politische Bedingungen der Geschichtsschreibung und der historischen Forschung in verschiedenen europäischen Ländern im 20. Jahrhundert – das war das Thema eines BIPs, das die Bielefelder Historikerin Dr. Bettina Brandt gemeinsam mit fünf weiteren Kolleg*innen des Europäischen Hochschulnetzwerks NEOLAiA konzipiert hat. Insgesamt 38 Master- und Promotionsstudierende aus Bielefeld, Jaén (Spanien), Örebro (Schweden), Ostrava (Tschechien) und Tours (Frankreich) meldeten sich an. „Diese Zahl hat uns Lehrende positiv überrascht“, sagt Bettina Brandt. Allein aus Bielefeld nahmen 10 Studierende der Geschichtswissenschaft und Soziologie teil. In drei Online-Veranstaltungen im Frühjahr 2024 bereitete die internationale Gruppe die Präsenzphase im schwedischen Örebro vor und nach. Genug Zeit und Raum, um gemeinsame Interessen und passende Fragestellungen für die fünf Tage in Schweden herauszuarbeiten und im Anschluss zu reflektieren. Während der Präsenzzeit „sollten die Studierenden auch ihren eigenen nationalen Kontext aufbrechen und dazu in gemischten Gruppen arbeiten“, erklärt Bettina Brandt.

Bettina Brandt im X-Gebäude der Universität
Dr. Bettina Brandt hat gemeinsam mit fünf weiteren Lehrenden aus dem NEOLAiA-Netzwerk ein Blended Intensive Programme ins Leben gerufen.

Die Studierenden beleuchteten vor Ort die Themen Historiographie in Schweden, Frankreich und Deutschland, Nationalgeschichte als politisches Argument bei der Gründung der Tschechoslowakischen Republik, nationale Denkmäler und Erinnerungsorte als Geschichtsdeutungen im 20. Jahrhundert und Umdeutungen des Kolonialismus beim Übergang von nationalen zu europäischen Geschichtserzählungen. „Die Vielfalt der europäischen Perspektiven auf das Thema und der intensive Austausch über die verschiedenen Geschichtskulturen waren eindrucksvoll“, resümiert Bettina Brandt. Dabei beschäftigte sich die Gruppe vor allem mit den Fragen, welche Bedeutung Erzählformen für die gesellschaftliche Relevanz der Geschichtswissenschaft besitzen und welche Effekte die eigene Darstellungsform und Schreibweise von Geschichte dabei haben. Unverzichtbar für den Lernerfolg: die Exkursion zu Alfred Nobels Gutshof Björkborn in der Nähe von Örebro – ein historischer Lernort. Bettina Brandt dazu: „So ein Ausflug vermittelt Eindrücke, die ohne diesen Mobilitätsanteil im BIP nicht möglich wären.“ Das internationale Team der NEOLAiA-Lehrenden plant übrigens schon die Fortsetzung des Formats: 2025 folgt ein BIP mit Aufenthalt in Ostrava, 2026 in Tours, 2027 in Bielefeld.

Internationale Perspektiven auf die eigene Promotion

Für ein BIP im Herbst 2023 brachten Dr. Sabine Schäfer und Dr. Clara Buitrago von der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS) Promovierende und Professor*innen langjähriger internationaler Kooperationshochschulen in den Sozial- und Geisteswissenschaften zusammen – unter anderem für eine Präsenzphase in Bielefeld. Ihr übergeordnetes Ziel: den Promovierenden durch internationalen und interdisziplinären Austausch Raum geben, um das eigene Dissertationsvorhaben zu reflektieren, zu diskutieren und voranzubringen.

Insgesamt sieben Professor*innen und 13 Promovierende der Universitäten in Bologna (Italien), Helsinki (Finnland), Paris (Frankreich) und Tel Aviv (Israel) sowie von den NEOLAiA-Partneruniversitäten aus Jaén und Örebro kamen mit sechs Bielefelder Professor*innen und sechs Promovierenden zusammen. Der Modus auch hier eine Mischung aus digital und präsent: Ende September 2023 traf sich die Gruppe zunächst in Bielefeld, um bei einem fünftägigen Präsenzformat zu wissenschaftlichem Verstehen und Wissensproduktion zu arbeiten. „Wir wollten die Vielfalt der Teilnehmer*innen nutzen, um zu reflektieren, welchen Einfluss ihre individuellen Perspektiven auf den Forschungsprozess haben und wie diese Perspektiven für die Dissertationsprojekte und den Arbeitsfortschritt genutzt werden können“, erklärt Sabine Schäfer.

Dr. Clara Buitrago (links) und Dr. Sabine Schäfer (rechts) im X-Gebäude
Konnten für ihr Blended Intensive Programme internationale Promovierende nach Bielefeld einladen: Dr. Clara Buitrago (l.) und Dr. Sabine Schäfer (r.) von der BGHS.

Zunächst stellten die Promovierenden bei ihrer Präsenzphase in Bielefeld im Rahmen eines Research Retreats ihre Dissertationsvorhaben gegenseitig vor. Es folgte ein Workshop zu guter wissenschaftlicher Praxis sowie der Besuch des Historischen Museums mit anschließender Reflexion. Die Teilnehmer*innen zeigten sich nach der gemeinsamen Zeit in Bielefeld „beeindruckt von der Organisation und der Struktur“. Danach folgte die digitale Phase dieses BIPs: In verschiedenen Online-Formaten arbeiteten die Promovierenden und Lehrenden zu Theorien und Methoden in ihren Forschungsfeldern. Die Bielefelder Organisatorin Clara Buitrago fasst zusammen: „Das BIP hat für unsere Teilnehmer*innen einen sicheren und konstruktiven Raum für die Diskussion von Promotionsvorhaben geboten, insbesondere für den internationalen, interdisziplinären und wissenschaftlichen Austausch.“

Inklusion und Diversität reflektieren

Für Studierende mit Interesse an der erziehungswissenschaftlichen und soziologischen Auseinandersetzung mit den Themen Diversität und Inklusion haben Professorin Dr. Michaela Vogt und Marlene Pieper gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Örebro und der Universität Ostrava (Partner im NEOLAiA-Netzwerk) im Frühjahr 2023 ein erstes gemeinsames BIP mit Präsenzphase in Bielefeld aufgesetzt. Seitdem rotiert die Gastgeber-Rolle mit einem bereits erfolgten zweiten Durchgang in Örebro im März 2024. Das Vorhaben: schulische Inklusion international-vergleichend zu diskutieren und dadurch eigene Vorstellungen inklusiven pädagogischen Handelns hinterfragend zu erweitern. „Die Teilnehmer*innen bringen Lern- und Lehrmaterialien aus dem Schulunterricht des jeweiligen Landes mit, um sie auf Inklusionssensibilität zu überprüfen– quasi als Türöffner, um über Inklusion im jeweiligen Bildungssystem ins Gespräch zu kommen“, erklärt Marlene Pieper. 2023 nahmen 39 Studierende und 15 Dozierende aus dem NEOLAiA-Netzwerk an diesem BIP teil: aus Bielefeld, Jaén (Spanien), Örebro (Schweden), Ostrava (Tschechien), Suceava (Rumänien), Tours (Frankreich), Salerno (Italien) und Siauliai (Litauen). Auch assoziierte Partner der ukrainischen Universität NaUKMA aus Kiew waren dabei.

2023 setzten Marlene Pieper (links) und Professorin Dr. Michaela Vogt (rechts) auf der Wiese vor dem Universitätshauptgebäude
2023 setzten Marlene Pieper (l.) und Professorin Dr. Michaela Vogt (r.) die Erstauflage eines Blended Intensive Programms mit Präsenzphase in Bielefeld auf.

Dieses BIP basierte auf Fragestellungen, die die teilnehmenden Wissenschaftler*innen in gemeinsamen Forschungsprojekten untersuchen. „Unser BIP-Format ermöglicht es uns, studentisches Feedback und die studentische Perspektive in die Weiterentwicklung unserer Projekte zu integrieren“, erklärt Professorin Dr. Michaela Vogt und ergänzt: „Nicht zuletzt sehen wir, dass wir die europäische Idee mit solchen internationalen Formaten stärken und greifbar machen können; eine Idee, die durch das BIP-Format an sich einer größeren Zahl an Studierendengruppen offensteht“. Eine der Teilnehmer*innen reflektiert das in der Abschlussbefragung so: „Ich habe mehr gelernt, als ich hätte erwarten können, besonders auf der interkulturellen Ebene. Das BIP hat meinen Blick für andere Perspektiven auf Lehren und Lernen, aber auch für andere Kulturen und meine Offenheit diesen gegenüber geschärft.“

Weitere Informationen

Die BIP-Programmlinie wird erst seit kurzem im Rahmen des Erasmus+ Programms durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. Bielefelder Lehrende, die ein Blended Intensive Programme durchführen möchten, können sich für die Antragstellung vom International Office beraten lassen. Dazu ist das Team Förderprojekte erreichbar unter io-foerderprojekte@uni-bielefeld.de.

Weitere Informationen des DAAD zum Thema Blended Intensive Programme