Ein offenes Ohr für alles und jede*n


Autor*in: Ludmilla Ostermann

Das Telefon klingelt, jemand nimmt den Hörer ab. „Nightline Bielefeld, Hallo?“ Wer die 0521 106 30 48 wählt, hat Gesprächsbedarf. Prüfungsstress, Liebeskummer oder Weltschmerz: Die Studentinnen Alexandra Lüüs und Natalie Butterwei und ihr Team von der Nightline haben ein offenes Ohr für alle Anrufer*innen. Für ihr ehrenamtliches Engagement sind sie nun für den Preis „Engagiert studiert“ des Ehemaligennetzwerks der Universität Bielefeld e.V. nominiert.

„In erster Linie geht es darum, zuzuhören. Wir haben nicht unbedingt den Anspruch, Beratungsstelle zu sein. Ein offenes Ohr genügt oft völlig“, sagt Alexandra Lüüs. Die Nightline gibt es in Bielefeld seit zwölf Jahren, an aktuell drei Abenden in der Woche ist sie besetzt. Die Probleme, die die Anrufer*innen beschäftigen, sind vielfältig: „Es geht natürlich um universitäre Themen. Man ist neu, will Anschluss finden oder fühlt sich überfordert mit Klausuren“, sagt Natalie Butterwei. Aber es geht auch darüber hinaus: Beziehungsprobleme, Unwohlsein, Traurigkeit gehören genauso dazu. Corona war ein Thema. „Wir spüren, dass jetzt auch noch die unsichere politische Weltlage dazu kommt“, sagt Lüüs.

Manchmal rufen Menschen an, die schon einen psychologischen Befund haben. Sie wissen, dass es ihnen guttut, mit jemandem zu sprechen. Und nicht immer sind Studierende am anderen Ende der Leitung, wie Alexandra Lüüs erklärt: „Wir werben zwar mit dem Slogan: von Studierenden für Studierende, fragen aber letztlich nicht nach, wie alt die Anrufer*innen sind und ob sie studieren oder nicht. Wir nehmen die Herausforderung erst einmal an und helfen, wie es uns möglich ist.“


Die Studierenden, die sich bei Nightline Bielefeld e. V. engagieren, haben ein offenes Ohr für alle Anrufer*innen.


[Telefon klingelt] Nightline Bielefeld, hallo.

Wir sind ein Zuhörtelefon und wir arbeiten nach einem Peer-to-Peer Prinzip. Das heißt wir sind Studierende und bieten unsere Dienste auch für die Zielgruppe Studierende an.

Wir sind kein Beratungsangebot, aber wir sind eben dann da, wenn andere Angebote schon geschlossen
haben, nämlich abends und nachts und eben auch dann, wenn Probleme besonders erdrückend
sein können, wenn auch Einsamkeit sehr erdrückend sein kann.

Wenn man gerade niemanden hat, mit dem man sprechen kann, dann sind wir da.

Und auch wenn positive Gefühle gerade keinen Raum haben,
weil man sie mit niemandem teilen kann, das kann auch ein einsames Gefühl sein. Auch dann kann man uns gerne anrufen.

Wir arbeiten in Teamstrukturen, bedeutet dass es untergeordnet ist, in beispielsweise Telefondienst, PR Team, Schulungsteam. Und der Sinn der Schulung ist es, den Nightliner*innen einen ersten Einblick zu geben, wie sie die Telefonate führen können.

Da werden dann auch Rollengespräche geführt und innerhalb der Rollengespräche hat man dann auch Methoden, die man an die Hand bekommen hat.

Unser Prinzip basiert auf drei Grundregeln, sag ich mal, das ist einmal Anonymität, Vertraulichkeit und Vorurteilsfreiheit. Nach denen versuchen wir immer zu agieren.

Dann treffen wir uns in den Dienstgruppen, aber auch häufiger irgendwie beim Stammtisch oder so,
wo auch alle zusammen sind. Und dort werden dann einzelne Sachen dann immer besprochen.

Also allein das Gemeinschaftsgefühl ist glaube ich eine sehr, sehr wichtige Rolle, gerade auch, weil wir immer in so häufigen Kontakt sind mit schwierigen und harten Themen, ist es glaube ich, wichtig dann irgendwie aufgefangen zu werden.

Und ich glaube, da bietet Nightline als Verein einen sehr guten Rahmen für. Jedes neue Mitglied, bringt irgendwie Innovation mit rein. Eine andere Art zu telefonieren, eine andere Art, den Verein zu fassen. Zu spüren, dass man auch am Ende vom Telefonat einen Unterschied gemacht hat. Das ist ganz großartig.

Die Nightline bietet Anrufer*innen, aber auch Mitarbeiter*innen einen geschützten Raum. Inhalt bleiben vertraulich, die Personen anonym. Und doch kann es vorkommen, dass manche Anrufe die Ehrenämtler*innen besonders berühren. Wohin dann bloß mit all den Gefühlen? Die Nightline lehrt ihre Mitarbeitenden auch Selbstfürsorge – und ein zuverlässiges Auffangnetz. „Das Gruppengefühl hier ist besonders“, sagt Butterwei. „Selbst spät in der Nacht, findet sich immer ein*e Gesprächspartner*in unter uns. Das habe ich als sehr wertschätzend erlebt.“ Hinzu kommen Gespräche mit Super- und Intervisoren, bei denen sich die Mitglieder austauschen können.

Das Team der Nightline Bielefeld umfasst ziemlich stabil 50 Mitglieder – in jedem Semester verlassen Freiwillige den Verein, neue kommen hinzu. Unter ihnen gibt es Psychologiestudent*innen, so wie Natalie Butterwei. Eine Voraussetzung für das Engagement ist dieses Studium aber nicht: „Jede*r kann mitmachen. Bei uns sind alle Studiengänge vertreten. Bisher war das der richtige Weg, und das wollen wir auch so beibehalten.“ Alexandra Lüüs etwa hat einen Bachelor in Soziologie und studiert im Master Erziehungswissenschaften. Die Nightline profitiert von dieser Diversität.

Mitglieder*innen der Uni-Nightline vor den Wandgemälden
Simon Hilgers, Natalie Butterwei, Alexandra Lüüs und Clara Unkrig (v.l.) von Nightline Bielefeld e. V..

Wer sich engagieren will, nimmt vor dem ersten Telefondienst an einer Schulung teil. Drei Tage dauert die und versorgt die angehenden Nightline-Mitarbeiter*innen mit Techniken der Gesprächsführung am Telefon. Sie lernen, gute Nachfragen zu stellen, um das Gespräch am Laufen zu halten. „Vor den ersten Diensten war ich extrem aufgeregt“, erinnert sich Lüüs, die sich seit fünf Jahren bei der Nightline engagiert. „Mit der Zeit lernt man aber, sich auf den eigenen Telefoncharakter zu verlassen. Klar gibt es auch mal Themen, die einen herausfordern, aber man wird sicherer.“ Telefoncharakter – das bedeutet, dass jedes Mitglied die erlernten Techniken auf ganz persönliche Weise umsetzt.

Neben dem Nightline-Telefon steht zudem immer ein Ordner mit Telefonnummern. „Wenn wir das Gefühl haben, dass wir die falschen Ansprechpartner*innen sind oder an persönliche Grenzen stoßen, verweisen wir die Anrufer*innen an andere Stellen“, erklärt Lüüs. „Da darf es keine Scheu geben. Das habe ich auch schon mal gemacht.“

Jutta Küster
Das Zuhörtelefon Nightline Bielefeld e.V. ist seit Jahren eine feste Institution an der Uni Bielefeld. Nightline ermöglicht Studierenden, über ihre Sorgen, Fragen und Themen zu sprechen: anonym, vertraulich und niedrigschwellig. Studierende, die sich selbstständig aus- und weiterbilden um Anrufer*innen bestmöglich zu zuhören und begleiten zu können, bieten hier ein offenes Ohr und einen Raum für ein Gespräch auf Augenhöhe. Es ist uns als Verein ein Anliegen, diese wichtige Arbeit mit der Nominierung für den Preis „Engagiert studiert“ sichtbar zu machen und zu würdigen.
Jutta Küster, Vorstand Ehemaligennetzwerk der Universität Bielefeld, über Nightline Bielefeld

Dem Nightline-Team ist wichtig, die Hemmschwelle für Anrufer*innen abzubauen. „Wir sind ein offenes Ohr für egal was. Das kann sogar ein fröhliches Thema sein. Niemand muss sich vor dem Anruf reflektiert mit seinem Anliegen auseinandergesetzt haben“, sagt Lüüs. Ihr Engagement bewerben die Nightline-Mitabeiter*innen mit Infotischen in der Erstiwoche, unter nightline-bielefeld.de erfahren Interessierte mehr. „Wir freuen uns immer auch über Mitglieder“, sagt Butterwei. Aktuell ist die Nightline dienstags, donnerstags und sonntags in der Zeit von 20:30 bis 23:30 Uhr zu erreichen. „Aber je mehr Telefonist*innen wir haben, desto mehr Telefondienste können wir anbieten. Der Bedarf ist da.“

Die Nightline ist ein Verein, erhebt aber keine Mitgliedsbeiträge. Sollte die Nightline den Ehrenamtspreis gewinnen, würde das Geld in die Schulung von Mitarbeiter*innen fließen. Fortbildungen, externe Referent*innen – das kostet Geld, ist aber für die Arbeit des Vereins sehr wichtig. Das Gefühl von Sicherheit, die das Nightline-Team seinen Anrufer*innen bietet, soll nämlich auch den engagierten Mitarbeiter*innen garantiert werden.

Preis für studentisches ehrenamtliches Engagement

Im Mai 2024 verleiht das Ehemaligennetzwerk der Universität Bielefeld e.V. (vormals Absolventen-Netzwerk der Universität Bielefeld e.V.) zum zweiten Mal den Preis „Engagiert studiert“ für ehrenamtliches Engagement im Studium. Das Ehemaligennetzwerk und die Universität Bielefeld möchten damit diese besondere Arbeit würdigen, fördern und finanziell unterstützen: Die*der Erstplatzierte erhält 1.000 Euro für das jeweilige Engagement, Zweitplatzierte 300 Euro und Drittplatzierte 200 Euro. Zusätzlich bekommen alle drei Platzierungen 150 Euro zur freien Verfügung. Bewerben konnten sich Einzelpersonen, studentische Gruppen oder studentische Projekte, die ein außerordentliches ehrenamtliches Engagement vorweisen können und damit das studentische Leben bereichern beziehungsweise eine besondere gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Das Engagement muss inhaltlich oder strukturell einen Bezug zur Universität Bielefeld haben. Nach Ablauf des Bewerbungszeitraums wählte der Vorstand des Ehemaligennetzwerks e.V. in einer ersten Auswahlrunde die drei Nominierten aus. In einer zweiten Auswahlrunde entscheidet eine unabhängige Jury über den*die Preisträger*in. Am 16. Mai findet die Preisverleihung statt.

www.uni-bielefeld.de/alumni