Eine Revolution im Sinne der Patient*innen


Autor*in: Universität Bielefeld

Professor Victor Montori von der Mayo Clinic (USA) ruft zur Transformation des Gesundheitssystems im Sinne der Patientinnen auf. Er fordert eine medizinische Versorgung abseits von wirtschaftlichen Interessen und Bürokratie und hin zu einer menschenzentrierten Betreuung. Am 3. Mai 2024 stellt er auf Einladung der Universität Bielefeld seine zentralen Thesen bei der Veranstaltung „Verloren im Gesundheitssystem – Von der Notwendigkeit einer Revolution im Sinne der Patientinnen“ zur öffentlichen Diskussion.

Patient*innen stehen nicht mehr im Fokus des Gesundheitssystems – das kritisiert Professor Victor Montori von der Mayo Clinic, USA. Bürokratie, ausgeprägte Arbeitsteilung, fehlende Nähe im Ärzt*innen-Patient*innen-Kontakt und insbesondere die Gewinnorientierung sind in den USA heute zentral. Dies gelte jedoch nicht nur für sein Heimatland, sondern in vergleichbarer Weise auch für europäische Gesundheitssysteme.

Am Freitag, den 3. Mai 2024, stellt Victor Montori diese und weitere zentrale Thesen bei der Podiumsdiskussion „Verloren im Gesundheitssystem – Von der Notwendigkeit einer Revolution im Sinne der Patient*innen“ in der Hechelei vor. Im Gespräch mit der Philosophin Professorin Marie Kaiser (Wissenschaftsphilosophie, Universität Bielefeld), der Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Christine Kersting (Allgemeinmedizin, Universität Witten/Herdecke) und dem Medizindidaktiker Dr. Tim Peters (Universität Bielefeld) stellt er sich anschließend kritischen Fragen, auch denen des Publikums.

Professor Dr. Vicotor Montori von der Mayo Clinic. USA.
Professor Victor Montori von der Mayo Clinic, USA, stellt die zentralen Thesen seines Buchs „Why We Revolt: A Patient Revolution for Careful and Kind Care“ zur öffentlichen Diskussion.

Mangelt es auch in Deutschland an menschenzentrierter Versorgung?

Christiane Muth, Professorin für Allgemein- und Familienmedizin der Universität Bielefeld, gehört als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats zu den Organisator*innen der Podiumsdiskussion und des gleichzeitig stattfindenden internationalen Fachsymposiums zum Thema Multimorbidität. „Uns interessiert, ob die Öffentlichkeit auch in Deutschland ähnliche Tendenzen des Gesundheitssystems wahrnimmt, wie sie in den USA beschrieben werden“, sagt Muth, „Ergebnisse der öffentlichen Podiumsdiskussion werden anschließend auch mit dem Fachpublikum diskutiert“.

Die menschenzentrierte Betreuung von Patient*innen sei laut Victor Montori an den Rand gedrängt worden. Patient*innen sind seiner Beobachtung zufolge Mittel zum Zweck, um Gewinne zu erzielen. Das Gesundheitssystem sei durch Unternehmen und ihre wirtschaftliche Vormacht so korrumpiert, dass vereinzelte Maßnahmen oder Anpassungen als Rettungsversuche wirkungslos seien. Stattdessen sollte das System grundsätzlich geändert werden.

Montori fordert daher eine Revolution der Gesundheitssysteme hin zu einer „kind care“. „Damit meint er eine zugewandte, umfassende und freundliche Betreuung von Patient*innen, die auf die individuelle Biologie und Biografie einzelner Menschen und ihre jeweiligen Probleme eingeht“, sagt Christiane Muth. Patient*innen sollen im Fokus des Gesundheitssystems stehen und ohne Eile gehört, erkannt, verstanden und unterstützt werden. Nach Montoris Auffassung steht diese Art der Betreuung für einen Paradigmenwechsel, da aktuell organisatorische, ökonomische, juristische und bürokratische Belange den Takt angeben.

Professorin Christiane Muth
Professorin Christiane Muth, Professorin für Allgemein- und Familienmedizin der Universität Bielefeld, wirkt bei der wissenschaftlichen Organisation des Symposiums mit.

Nicht nur Patient*innen sind stark belastet

Die Umstände belasten nicht nur die Patient*innen, sondern auch das Gesundheitspersonal: Aktuelle Diskussionen um die Krankenhausreform oder den Fachkräftemangel in Medizin und Pflege zeigen deutlich, welche Folgen chronisch überlastete Versorger*innen für das deutsche Gesundheitssystem mit sich bringen. „Die Forderung nach einer patient*innenzentrierten Medizin wird von führenden internationalen Experten erhoben, gerade mit Blick auf die Versorgung mehrfacherkrankter Patient*innen“, sagt Christiane Muth. „Unklarheit herrscht darüber, wie dieser Transformationsprozess gestaltet werden kann“.

Die öffentliche Podiumsdiskussion findet im Rahmen des internationalen Fachsymposiums zum Thema Multimorbidität „Ariadne revisited: gains and gaps in research and care“ statt. Der Titel bezieht sich auf den griechischen Mythos von Ariadne und Theseus im Labyrinth des Minos. Dieser wird seit langem von Mediziner*innen als Metapher verwendet, wenn es um das Thema Mehrfacherkrankungen geht. Diese stellen eine der größten Herausforderungen für Forscher*innen und Kliniker*innen im Gesundheitswesen dar. Die 23 Sprecher*innen der internationalen Veranstaltung kommen aus 10 Ländern bzw. 4 Kontinenten, um Erkenntnisse und Evidenzlücken zusammenzufassen sowie neue Konzepte und Ansätze im Bereich Multimorbidität zu beleuchten. Es ist das dritte Symposium dieser Art, das zuvor in der Deutschen Nationalbibliothek (Frankfurt am Main) und im Alfred Nobel Forum (Stockholm) abgehalten wurde.

Weitere Informationen:

Die öffentliche Podiumsdiskussion findet am Freitag, 3. Mai 2024 von 9:30 – 11 Uhr in der Hechelei (Ravensberger Park) statt. Es ist für alle Interessierten geöffnet, auch ohne medizinische Vorbildung. Der Eintritt ist kostenfrei.

Englischkenntnisse sind nicht von Nöten, da eine Simultandolmetscherin für das Publikum übersetzt. Informationen zur Anmeldung gibt es hier.