Den Wandel der Weltordnungen verstehen


Autor*in: Jörg Heeren

Wird eine chinesische Weltordnung die Vorherrschaft der „westlichen“ ablösen? Oder bringt Russland überwunden geglaubte koloniale und imperiale Ansprüche zurück auf die Weltbühne? Fragen wie diese bestimmen die aktuelle politische Diskussion. Doch die Vorstellung einer vorherrschenden Weltordnung ist zu einfach. Tatsächlich besteht und bestand stets eine Vielfalt an Ordnungsprinzipien nebeneinander. Deren Interaktion zu analysieren, um aktuelle Veränderungsprozesse besser zu verstehen, ist das Vorhaben der Forschungsgruppe „Understanding the transformations of world politics: ordering principles and infrastructures of communication“ (Die Veränderungen in der Weltpolitik verstehen: Ordnungsprinzipien und die Infrastrukturen der Kommunikation). Sie nimmt im April am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld ihre Arbeit auf.

Die aktuelle Weltlage ist unübersichtlich. Die Vorstellung einer einfachen Ordnung, dominiert vom liberalen Westen, war jedoch immer schon eine Illusion. „Die Geschichte der Weltordnungen wird meist so beschrieben, dass eine vorherrschende Ordnung eine andere ablöst, auf den Imperialismus folgte der Nationalismus und dann die Zeit der internationalen Organisationen“, erklärt Dr. Mathias Albert, Professor für Internationale Politik und Politikwissenschaft an der Universität Bielefeld. „Aber so einfach ist das nicht, imperialistische und nationalistische Ordnungen bestehen weiterhin, das sehen wir an Russlands Krieg gegen die Ukraine“, sagt Albert. Er leitet die Forschungsgruppe zusammen mit der Historikerin Professorin Dr. Heidi Tworek (University of British Columbia in Vancouver, Kanada) und dem Soziologen Professor Dr. Tobias Werron (Universität Bielefeld). 

Collage der Leiterin und der beiden Leiter der neuen Forschungsgruppe
Mit einer neuen Sicht auf Weltpolitik befasst sich die neue Forschungsgruppe unter Leitung der Professor*innen Dr. Mathias Albert (Universität Bielefeld), Dr. Heidi Tworek (University of British Columbia) und Dr. Tobias Werron (Universität Bielefeld).

Die sich überlagernden Ordnungen rekonstruieren

Die Suche nach großen Trends, die die Weltgeschichte bestimmen, halten die Forschenden nicht für vielversprechend. Stattdessen möchten sie die aktuellen Veränderungen als Prozesse in unterschiedlichen, sich überlagernden politischen Ordnungen rekonstruieren. „Weltpolitik entsteht, indem viele Ordnungsprinzipien, die nebeneinander bestehen, aufeinander einwirken“, so Heidi Tworek. „Deshalb reicht es nicht, einfach zu vergleichen, wer wieviel Macht hat, um die Entwicklungen zu verstehen.“ 

Um diese unterschiedlichen Ordnungen aufzuspüren, werden die Wissenschaftler*innen sich auf die Analyse von Kommunikationsinfrastrukturen konzentrieren. „Obwohl lange klar ist, dass etwa die Verbreitung des Telegrafen und die Entstehung von Nachrichtenagenturen zentral für den Ausbau des britischen Weltreiches waren, und heute Propaganda in den sozialen Medien eine große Rolle in der Weltpolitik spielen, gibt es bislang keine systematische Analyse, welche Rolle die bestehenden und zukünftigen Kommunikationsinfrastrukturen für die Herausbildung von politischen Ordnungen gespielt haben und spielen“, so Tworek.

Die Weltpolitik und ihre Ursprünge mit neuer Perspektive sehen

Um dies nachzuholen, haben die Leiter*innen der Forschungsgruppe internationale Kolleg*innen aus den Fachrichtungen Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen, Globalgeschichte und Historischer Soziologie nach Bielefeld eingeladen. Sie werden bis Ende Juli gemeinsam am ZiF arbeiten. Dabei stützt sich die Forschungsgruppe auch auf bestehende Kooperationen an der Universität Bielefeld, etwa am Institut für Weltgesellschaft. 

„Wir möchten dazu beitragen, unseren Blick auf die gegenwärtige Weltpolitik und ihre Entstehungsgeschichte zu verändern, indem wir sie nicht als Abfolge fester Weltordnungen, sondern als Zusammenspiel unterschiedlicher, sich wechselseitig beeinflussender Ordnungen verstehen und historisch untersuchen“, so Tobias Werron.