Vor rund 20 Jahren ging alles von einem einzigen Kontakt aus. Heute ist es eine tiefgehende und weiter wachsende Verbindung zweier Universitäten: die strategische Partnerschaft der Universität Bielefeld und der Universität Guadalajara in Mexiko. In der Praxis heißt das gemeinsame Studienformate und deutsch-mexikanisches Co-Teaching, wissenschaftliche Arbeit im CALAS-Verbund, die Forschungslücken füllt, und das Engagement zweier Verbindungsbüros an beiden Universitäten. Wie konnte sich diese strategische Partnerschaft festigen? Welche wissenschaftlichen Errungenschaften erzielen Bielefeld und Guadalajara gemeinsam? Was sind die Perspektiven als Partnerschaft? Der Besuch und Forschungsaufenthalt zweier Gäste aus Guadalajara in Bielefeld ermöglicht ein Gespräch darüber, wie die beiden Partneruniversitäten gemeinsam forschen und lehren.
„Unsere Partnerschaft ist vielmehr eine Community“, sagt Professor Dr Héctor Raúl Solís Gadea, Soziologe der Universität Guadalajara und zugleich Vizerektor der mexikanischen Universität. Dr. Olaf Kaltmeier, Bielefelder Professor für Iberoamerikanische Geschichte, ergänzt: „Vom ersten Kontakt an hatten die deutsche und die mexikanische Seite ein gemeinsames Verständnis davon, wie wir gemeinsam an Themen forschen können.“ Dr. Joachim Michael, Professor an der Bielefelder Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, bringt ein: „Die institutionelle Unterstützung beider Universitäten hat es erst möglich gemacht, dass wir heute auf diesem Level und in dieser Tiefe miteinander arbeiten können“.
Beispiele aus Studium, Forschung, Lehre und der institutionellen Kooperation zeigen diese gelebte strategische Partnerschaft.
Ein Studiengang – zwei Abschlüsse: Der Master InterAmerican Studies
Studierende in Bielefeld und Guadalajara können seit nunmehr fünf Jahren das Masterprogramm InterAmerican Studies / Estudios InterAmericanos belegen und mit einem Double Degree abschließen, also einem Abschluss beider Universitäten. Aktuell belegen 32 Studierende das Programm auf beiden Seiten. Sie beschäftigen sich mit interkulturellen Studien – von Literaturwissenschaft bis zu Kulturwissenschaften. „Auch wie unsere Studierenden das Programm absolvieren, ist interkulturell: Sie setzen sich mit zwei unterschiedlichen Systemen und akademischen Kulturen auseinander“, erklärt Joachim Michael, Bielefelder Koordinator des Programms. Zwei Semester verbringen die Programmstudierenden in Bielefeld, zwei Semester in Guadalajara. Lehrende beider Universitäten betreuen die Abschlussarbeiten. „Ohne die fortlaufende Verbindung unserer Lehrenden und Studierenden würde diese Vereinbarung nicht so gut funktionieren und keinen Bestand haben können“, ergänzt Héctor Raúl Solís Gadea.
Gemeinsame Lehre: Wenn Lehrende zu Lernenden werden
Anthropologin Professorin Dr. Rosa Yáñez aus Guadalajara ist im Herbst 2023 für ihren mittlerweile dritten Forschungsaufenthalt zu Gast in Bielefeld. In einer Lehrveranstaltung von Olaf Kaltmeier hat sie ihre aktuelle Forschungsarbeit vorgestellt: Wie haben Menschen in der Kolonialzeit mit der indigenen Sprache Nahuatl in Text und Wort ausgedrückt, was sie wollten? „Die Studierenden in Bielefeld haben Fragen und Perspektiven aufgeworfen, an die ich noch gar nicht gedacht habe und die ich nun in meiner Forschung berücksichtigen möchte“, erzählt Rosa Yáñez. Olaf Kaltmeier konnte beobachten, wie der Lehrveranstaltung „ein fortlaufender interaktiver Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden entsprungen ist – wirklich faszinierend!“
Soziologe Héctor Raúl Solís Gadea und Literaturwissenschaftler Joachim Michael haben im laufenden Wintersemester im interdisziplinären Co-Teaching-Seminar in Bielefeld Demokratie diskutiert – vom theoretischen Begriff bis hin zu seiner kritischen Reflektion in Film und Literatur. Solís Gadea dazu: „Unsere Studierenden aus verschiedenen Teilen dieser Welt haben nicht alle die gleiche Vorstellung von Demokratie, eines der dringlichsten Themen unserer Zeit. Wir konnten gemeinsam darüber streiten, was Demokratie überhaupt bedeutet.“ Während dieses und auch während anderer deutsch-mexikanischer Seminare werden aus Lehrenden dabei Lernende. Joachim Michael dazu: „Ich lerne permanent von meinem internationalen Partner und kann mir anschauen, wie er seine Lehre plant oder die Lehrveranstaltung managt.“
Das CALAS-Center als herausstechendes Forschungsprojekt
2017 wurde das „Maria Sibylla Merian Centre for Advanced Latin American Studies in the Humanities and Social Sciences“ (CALAS) als finanziell umfangreichstes Forschungsprojekt zu Lateinamerika mit Mitteln aus Deutschland bewilligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Zentrum mit Hauptsitz in Guadalajara mit bis zu 20 Millionen Euro für 12 Jahre. Sarah Corona Berkin aus Guadalajara ist die lateinamerikanische Leiterin und Olaf Kaltmeier der deutsche Leiter und Sprecher dieses Projektes, das aus einem Netzwerk von vier lateinamerikanischen und vier deutschen Universitäten besteht. Weitere Regionalbüros wurden im Rahmen des CALAS-Netzwerks in Ecuador, Costa Rica und Argentinien eingerichtet.
Ziel ist zu erforschen, wie Krisen in Lateinamerika gelöst werden – und was daraus gelernt werden kann. Als ein Beispiel nennt Olaf Kaltmeier die wissenschaftliche Untersuchung der Yasuní-ITT-Initiative. Die Bewegung initiierte ein Referendum in Ecuador dazu, fossile Rohstoffvorkommen des Landes nicht zu schröpfen, um den Yasuní-Regenwald im Land und seine Biodiversität zu schützen. Die Mehrheit der Menschen in Ecuador stimmte im August 2023 für den langfristigen Schutz des Waldes und gegen kurzfristige ökonomische Gewinne durch dortige Erdölförderung. „Wir publizieren nun einen wissenschaftlichen Sammelband über unsere Forschung zur Ethik der Fürsorge anhand von Beispielen aus Lateinamerika“, sagt Olaf Kaltmeier. Ohnehin stehe CALAS „mittlerweile nicht mehr nur für das Center oder das Forschungsprojekt“, wie Héctor Raúl Solís Gadea berichtet, „sondern ist ein Referenzpunkt in der lateinamerikanischen akademischen Welt geworden“. Im CALAS-Verbund seien neue Forschungsvorhaben-, ansätze und -ergebnisse erzielt worden, „die es bisher in den Sozial- und Geisteswissenschaften in Lateinamerika so nicht gab“, sagt Olaf Kaltmeier. Ziel der Partner*innen in Lateinamerika und Deutschland sei es, die neu erschlossenen Forschungszweige auch über den Förderzeitraum von CALAS hinaus in Lateinamerika zu verankern. Kaltmeier dazu: „Das hohe Commitment der Universitäten aus Bielefeld und Guadalajara ist dabei der Motor.“
© Olaf Kaltmeier
Verbindungsbüros auf beiden Seiten
Vor einem Jahr eröffnete die Bielefelder Universitätsleitung gemeinsam mit den Partner*innen in Guadalajara das dortige Verbindungsbüro der strategischen Partnerschaft. Mittlerweile ist auch das Pendant in Bielefeld installiert unter der Leitung von Dr. Philipp Wolfesberger, Geschäftsführer des Center for InterAmerican Studies (CIAS), in dem das Verbindungsbüro angesiedelt ist. Die Kontaktbüros an beiden Universitäten dienen als Anlaufstelle, um Studierende, Lehrende und Forschende aller Fachrichtungen zu Austauschmöglichkeiten zwischen den Universitäten zu beraten und zu vermitteln. „Über die bestehenden Austauschformate identifizieren wir weitere mögliche Verknüpfungspunkte zwischen Bielefeld und Guadalajara – aktuell etwa im Bereich Public Health und Robotics“, erklärt Philipp Wolfesberger. Fragen dabei sind: Was könnten gemeinsame Forschungsvorhaben sein? Wie kann in neuen, weiteren Forschungsfeldern kooperiert werden? Einen weiteren Schritt innerhalb der strategischen Partnerschaft haben beide Universitäten kürzlich gemeinsam gemeistert: „Wir haben unsere Zusammenarbeit durch ein zusätzliches Austauschprogramm im Rahmen von ERASMUS+ erweitert“.