Damit die Verkehrswende gelingen und der Schienenverkehr sein Potenzial voll ausschöpfen kann, bedarf es digitaler Unterstützung. Hier setzt das Innovationsökosystem RailCampus OWL an. Forschende der Universität Bielefeld lassen ihr Know-how einfließen, um den Bahnverkehr effizienter und zuverlässiger zu machen.
Die Pionierstraße in Minden macht ihrem Namen alle Ehre: Hier sollen die Weichen für eine zukunftsfähige Bahn gestellt werden. Auf dem Gelände der DB Systemtechnik GmbH wird künftig zu den Themen Automatisierung, innovative Instandhaltung und vernetzte Transportlogistik geforscht, gelehrt und gearbeitet. Initiatoren des Projekts sind neben der Universität Bielefeld die Technische Hochschule OWL, die Hochschule Bielefeld und die Universität Paderborn sowie Stadt Minden und Kreis Minden-Lübbecke, regionale Firmen wie Wago und Harting und die Deutschen Bahn mit ihren Sparten Systemtechnik und Cargo.
Der Lehrbetrieb läuft bereits. Seit dem Wintersemester werden erste Studierende im Bachelorstudiengang Digitale Bahnsysteme ausgebildet. Und auch, wenn die Forschungsarbeit noch nicht begonnen hat, ist schon jetzt klar, wo die Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld ihre Kompetenz zum Einsatz bringen wollen: „Auch wenn wir sie auf das System Bahn noch nicht angewendet haben, so haben wir doch reichlich Erfahrung auf dem Gebiet der Intelligenten Technischen Systeme und des Maschinellen Lernens“, sagt Professor Dr.-Ing. Franz Kummert von der Technischen Fakultät der Universität Bielefeld. Er vertritt die Universität Bielefeld im Vorstand des Vereins RailCampus OWL.
© Sarah Jonek
Durch automatisierte Analyse Verschleiß frühzeitig erkennen
Schwachstellen erkennen, bevor sie zum Defekt werden – das ist die Herausforderung. Die Universität Bielefeld widmet sich dieser Aufgabe unter anderem in den Laboren des Forschungsinstituts für Kognition und Robotik (CoR-Lab), wenn auch auf einem etwas anderen Gebiet. In einem kürzlich abgeschlossenen Projekt ging es darum, mit künstlichen neuronalen Netzen Flecken auf gemusterter Wäsche zu erkennen. „Es ist ein Unterschied, ob ich Löcher und Flecken auf gemusterter Wäsche detektiere oder den Verschleißzustand eines Rades“, sagt Kummert. „Die Methoden, die zum Einsatz kommen, sind aber letztendlich dieselben und lassen sich auf das System Bahn übertragen.“
Das Prinzip der Fleckerkennung ist einfach: Betrachten wir Menschen ein Bild, stechen uns gewisse Bereiche zuerst ins Auge. Das sind die sogenannten salienten Bereiche, spezielle Objekte, die sich von der Umgebung abheben, wie etwa ein rotes Objekt vor blauem Himmel. „Die Idee war, neuronale Netze für die Salienzerkennung auch auf gemusterter Wäsche einzusetzen, denn schließlich fällt auch ein Fleck auf gemusterter Wäsche ins Auge. Er ist ein salienter Bereich“, erklärt Kummert.
Bis die neuronalen Netze in der Lage sind, die Flecken selbständig zu erkennen, ist zeitintensive Vorarbeit nötig: „Ich brauche Tausende Bilder mit Flecken, auf denen ich diese Fleckbereiche händisch einzeichnen muss, damit sie erkannt werden.“ Obwohl das Training aufwendig ist: Das Verfahren der visuellen Inspektion von Objekten mithilfe von neuronalen Netzen kann auch bei der Wartung von Zügen Anwendung finden. Etwa dann, wenn es darum geht, den Zustand eines Bremsbelages zu überprüfen. Kummert sieht in der sogenannten prädikativen Wartung einen wichtigen Beitrag, um die Bahn als Verkehrsmittel attraktiver zu machen: „Die Wahrscheinlichkeit von Fehlern sinkt und macht den Ablauf zuverlässiger und effizienter.“
Mit Automatisierung gegen den Personalmangel
Ein weiterer großer Teilbereich des Forschungsprojekts ist die Automatisierung des Güter- und Personenverkehrs. Die Vision: ein vollautonomer Schienenverkehr, denn wer mehr Züge auf die Schiene bekommen möchte, muss ein sich selbst organisierendes Bahnsystem an den Start bringen. „Dafür bedarf es etwa einer Umfelderkennung, die sicherstellt, dass der Zug auf dem richtigen Gleis fährt und das Gleis frei von Hindernissen ist.“ Auch hier kommen neuronale Netze zum Einsatz: Mit ihnen entwickeln Wissenschaftler*innen des CoR-Labs multi-sensorielle Plattformen für die automatisierte Erkennung von Menschen, Objekten und der Umgebung.
Und nicht nur das: Sie forschen an lernfähigen Robotersystemen, die kosteneffizient für die Voll- oder Teilautomatisierung in der Montage oder Intralogistik eingesetzt werden können. „Auf das System Bahn übertragen, können wir unsere Expertise also auch beim Be- und Entladen von Gütern einbringen, etwa mit unserer Forschung zu Roboterarmen“, sagt Kummert.