Wie gut schützen Masken vor einer Infektion? Wann ist eine Impfung sicher? Welche Auswirkungen haben Schulschließungen auf die psychische Gesundheit der Schüler*innen? In der Corona-Pandemie ist deutlich geworden, wie stark politische Entscheidungen auf Informationen aus der Wissenschaft angewiesen sind. Ebenso hat sich aber gezeigt, dass Forschungsergebnisse politische Entscheidungen nicht ersetzen können. Wie der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik verbessert werden und welche Rolle die Philosophie dabei spielen kann, ist die Leitfrage der internationalen Forschungsgruppe „Erkenntnistheorie der evidenzbasierten Politikgestaltung“, die bis Juni dieses Jahres am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld arbeitet. Am 30. und 31. März findet der Auftaktworkshop „(Mis)interpretation of Scientific Evidence“ (Fehlinterpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse) statt.
Politische Entscheidungen sollten auch auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden. Dafür hat sich die Bezeichnung „evidenzbasierte Politik “ eingebürgert. „Die Grundidee, an der sich mehr und mehr Regierungen orientieren, ist, dass Entscheidungen sich auf überprüfbare und verlässliche Erkenntnisse stützen sollen und Maßnahmen und Programme gründlich ausgewertet werden, am besten unter Beteiligung interessierter Bürger*innen“, erklärt die Philosophin Dr. Anne Schwenkenbecher von der Murdoch Universität in Australien. Sie leitet die Forschungsgruppe zusammen mit dem Philosophen Dr. Remco Heesen von der University of Western Australia und dem Biologen Professor Dr. Chad Hewitt von der Lincoln Universität, Neuseeland.
© Universität Bielefeld
Wie werden Entscheidungen bei Ungewissheit getroffen?
Wie die Corona-Pandemie gezeigt hat, sind solche evidenzbasierten Entscheidungen allerdings nicht leicht zu treffen. So muss klar sein, wie Informationen beschafft und bewertet werden, wann es erforderlich ist, zusätzliche Informationen einzuholen und welche Erkenntnisse vielleicht auch gar nicht berücksichtigt werden. „Und es ist wichtig zu klären, wie Entscheidungen bei Ungewissheit getroffen werden, denn auch die Wissenschaft kann zumeist nur begrenzte und, etwa im Fall einer neu auftretenden Infektionskrankheit, vorläufige Erkenntnisse liefern“, ergänzt Remco Heesen. „Politiker*innen müssen sich zumindest zu einem gewissen Grad auf die wissenschaftliche Arbeits- und Denkweise einlassen, damit Entscheidungen verantwortungsvoll getroffen werden können. Zudem sollten Wissenschaftler*innen sich möglichst klar ausdrücken und ihre Ergebnisse so aufbereitet, dass die Verantwortlichen aus der Politik sie nachvollziehen können. Denn leider entstehen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik oft kommunikative Probleme“, sagt Chad Hewitt, der selbst Regierungen im Bereich Umweltschutz berät.
Philosophie kann zur Lösung beitragen
„Viele dieser Herausforderungen sind ethischer und erkenntnistheoretischer Natur, also sollte die Philosophie dazu beitragen können, sie zu lösen“, erklärt Anne Schwenkenbecher. Deshalb hat die Gruppe Philosoph*innen und Forscher*innen aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Regulierung und Gesetzgebung zusammengebracht. Die 15 Wissenschaftler*innen aus sieben Ländern analysieren am ZiF gemeinsam Erfolge und Misserfolge der evidenzbasierten Politikgestaltung, vor allem in den Bereichen Naturschutz/Biosicherheit und öffentliche Gesundheit. Sie versuchen, Strategien zu erarbeiten, um den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik zu verbessern.
Im Zentrum des Auftaktworkshops, zu dem die Forschungsgruppe sieben renommierte internationale Referent*innen eingeladen hat, stehen erkenntnistheoretische Fragen und Probleme, die bei der Interpretation von wissenschaftlichen Ergebnissen durch politische Entscheidungsträger entstehen. Sie werden anhand von Fallstudien und Forschungsprojekten zu aquatischen invasiven Arten, Digital Health (Gesundheitswesen in der Digitalisierung) und diskutiert. Zudem soll es um die Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse gehen und die Frage, wie gut wissenschaftliche Erkenntnisse von der Öffentlichkeit verstanden werden. „Wir werden auch die Fähigkeiten und die Bereitschaft von Wissenschaftler*innen in den Blick nehmen, ihre Ergebnisse verständlich zu vermitteln“, so Chad Hewitt.