Gewalt gegen Kinder und ihre Folgen ist eines der Kernthemen der Forschung, die Juniorprofessor Dr. Tobias Hecker spätestens seit seinem Zivildienst in Afrika persönlich beschäftigt. Inzwischen leitet der Psychologe dazu eine von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) finanzierte Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe an der Universität Bielefeld. „Ein großes Glück“, stellt er fest: „Das interdisziplinäre Arbeiten ist hier fest etabliert.“ Und das ist das, was die Forschung seiner Gruppe entscheidend voranbringt. Überschneidungen gibt es immer wieder mit dem zweiten großen Forschungsbereich: emotionale und kognitive Unsicherheiten, die durch traumatische Erfahrungen ausgelöst werden.
Das Thema seiner Forschungsgruppe ist stark lösungsorientiert: „Ich beschäftige mich auch mit alltäglicher Gewalt in der Erziehung und die kann man sehr wohl verhindern.“ Ein ebenfalls großes Thema seiner Forschung ist die Gewalt, die aus kriegerischen Konflikten auf Kinder einwirkt, die zum Beispiel in Flucht münden kann. „Ein Beispiel ist der Krieg in der Ukraine. Wie in vielen anderen Fällen gilt: Je eher die hier traumatisierten Menschen Hilfe bekommen, desto weniger aufwendig ist ihre Behandlung.“
© Sarah Jonek
Studien in Regionen, in denen Gewalt gegen Kinder sozial akzeptiert ist
Um Gewalt in der Erziehung näher zu erforschen, führt Heckers Forschungsgruppe Studien in Tansania, in Uganda und Ghana durch. Außerdem gibt es Studien in Haiti und Pakistan, die jedoch anderweitig finanziert werden. „Wir sind ein internationales Team. Zum Kernteam hier in Bielefeld gehören zwei Postdoktorand*innen, sieben Doktorand*innen und Stipendiat*innen, die auch aus den Ländern kommen, in denen unsere Studien laufen. Dazu kommen wissenschaftliche Projektmitarbeitende, die an den lokalen Partneruniversitäten angestellt sind.“ Die Gruppe, die von Bielefeld aus koordiniert wird, umfasst nahezu 20 Personen. Dieses Netzwerk baute Hecker über Jahre auf. Die Studien laufen in Regionen, in denen Kinder in Erziehungseinrichtungen oder Schulen betreut werden, in denen emotionale oder physische Gewalt zum Beispiel durch Lehrkräfte auch heute noch sozial akzeptiert und hoch präsent ist.
Umfassende Erfassung von Effekten der Misshandlungen
Die Folgen, die die Wissenschaftler*innen feststellen, sind weitreichend. „Als Psychologe gilt meine Aufmerksamkeit zunächst den Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und auf kognitive Fähigkeiten, zum Beispiel die Schulleistungen“, erklärt Hecker. „Ich arbeite in dem Projekt aber auch mit einer Ökonomin. Fortwährende Gewalterfahrung wirkt sich auch auf die individuelle wirtschaftliche Lage aus und hat gesellschaftlich-ökonomische Folgen.“ Außerdem gehören Stressforschende zum Team: „Sie schauen sich die Auswirkungen auf biologische-körperlicher Ebene, also Stressmarker an. Und das ist es wohl auch, was meine Forschung ausmacht: Ich stelle die Frage nach den Folgen sehr breit.“ Hecker und sein Team entwickeln aus ihren Befunden konkrete Handlungsempfehlungen. „Das Argument, dass Gewalt in der Erziehung Kindern nicht guttut, weil sie dann psychische Probleme haben, zieht oft wenig bei Eltern oder politischen Entscheidungsträger*innen in den jeweiligen Ländern. Sie nehmen es aber ernst, wenn wir sagen, dass die Kinder durch die Gewalt schlechte Leistungen bringen oder später im Beruf weniger verdienen.“
Präventionsprogramme sollen zu Wandel zu gewaltfreier Erziehung beitragen
Dass das Thema emotional belastet, ist dem Wissenschaftler klar – ebenso wie sein Antrieb: „Ich hoffe, dass ich mit der Forschung einen Beitrag leisten kann, Gewalt gegen Kinder weltweit einzudämmen“, sagt Hecker. Mit seiner Forschungsgruppe arbeitet er an Präventionsprogrammen für Gesellschaften mit erhöhtem Gewaltaufkommen. „Die Programme, die wir entwickeln und testen, zielen darauf, die Gewalt gegen Kinder zu reduzieren. Wir streben einen Wandel zur gewaltfreien Erziehung innerhalb einer Generation an, also mit 30 Jahren Perspektive. Gewaltfreie Erziehung entspricht im Prinzip der Haltung, die sich seit den Siebzigern in Deutschland entwickelt hat.“
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Neben der Frage der Folgen von Gewalt geht es in Heckers Forschung auch um psychische Widerstandskraft – die Resilienz – und den Umgang mit emotionalen und kognitiven Unsicherheiten. Zu diesen Unsicherheiten gehören neben traumatischen Erfahrungen wie Gewalt und Kriegsgewalt auch die Folgen, die andere Konflikte verursachen. Dazu zählt die Migration, ausgelöst durch Konflikte oder den Klimawandel, und ihre Effekte auf Menschen. „In der Psychologie sehen wir da sehr unterschiedliche Reaktionen. Aus der klinisch-psychologischen Perspektive würden wir sagen: Wenn Menschen zu viele traumatische Situationen erleben, müssten sie alle irgendwann psychisch überfordert sein – das zeigt sich aber so nicht.“ Warum viele Menschen, die mit diesen Unsicherheiten und Herausforderungen umgehen können und resilienter als andere sind, möchte der Forscher herausfinden. „Mich interessiert, welche kognitiven und emotionalen Verarbeitungsmechanismen resiliente Menschen nutzen, um aus Gewaltsituationen gesund herauszukommen. Und es geht mir um Gesellschaften, die in besonderem Maße von diesen Unsicherheiten betroffen sind.“