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„Individuelle Unterschiede auch in einem Ameisenstaat“


Autor*in: Christina Hoppenbrock, Universität Münster

Im Joint Institute for Individualisation in a Changing Environment (JICE) befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften mit dem Thema Individualisierung. Im Fokus steht dabei das Wechselspiel zwischen Individuum und Umwelt. Das JICE, das von den Universitäten Münster und Bielefeld getragen wird, baut auf dem Transregio-Sonderforschungsbereich SFB-TRR 212 auf. Christina Hoppenbrock fragte JICE-Direktorin Professorin Dr. Barbara Caspers von der Universität Bielefeld) und JICE-Direktor Professor Dr. Jürgen Gadau von der Universität Münster nach den Stärken und Zielen des neuen Verbunds, der am 5. April zu einem Auftaktsymposium an der Universität Bielefeld einlädt.

Dass Individuen sich unterscheiden, ist doch eine Selbstverständlichkeit. Warum befasst sich ein ganzer Forschungsverbund mit diesem Thema?

Barbara Caspers: Dass Menschen sich individuell unterscheiden, ist vielleicht eine Selbstverständlichkeit. Das gilt auch für Tiere – zumindest, wenn wir zum Beispiel von Hunden oder Elefanten sprechen. Schaut man sich allerdings einen großen Ameisenstaat an, bei dem alle Tiere vermeintlich nicht zu unterscheiden sind, ist die Individualität schon nicht mehr ganz so selbstverständlich. Aber auch hier finden sich entscheidende individuelle Unterschiede. Wie und unter welchen Umständen diese bei Tieren und Menschen entstehen, ob und wie man Individualisierungsprozesse berechnen und vorhersagen kann und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist zentraler Bestandteil des Forschungsverbundes.

Foto der Person: Prof. Dr. Barbara Caspers, Fakultät für Biologie / Verhaltensökologie
JICE-Direktorin Prof. Dr. Barbara Caspers von der Universität Bielefeld.

Das JICE vereint Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen: Von der Biologie über die Geoinformatik, Psychologie und Medizin bis hin zu Soziologie, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften. Welchen Mehrwert hat diese breite Aufstellung?

Jürgen Gadau: Ursachen und Mechanismen der Individualisierung und die Konsequenzen für das Individuum sind für Tiere und Menschen oft ähnlich. Dies gilt ebenso in Bezug darauf, wie unterschiedlich Individuen auf Umweltveränderungen reagieren, sowohl im Hinblick auf Temperaturerhöhungen oder Luftverschmutzung, als auch auf Stress oder Aggressionen. Die verschiedenen Disziplinen haben unterschiedliche Herangehensweisen, Techniken, Ideen und Grenzen. Über den Austausch und die Diskussion können alle voneinander lernen und damit das Thema Individualisierung im Kontext sich immer schneller ändernder Umwelten in den beteiligten Disziplinen voranbringen und ganz neue Erklärungs- und Lösungsansätze entwickeln. Dadurch tragen wir zum besseren Verständnis und zu möglichen Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit bei. Dazu zählen die rasante Klimaveränderung, der nachhaltige Umgang mit Ressourcen und der Wandel unseres Gesellschaftssystems, in dem sich individuelle Lebensentwürfe verwirklichen lassen, ohne dass der Zusammenhalt der Gemeinschaft verloren geht.

Und wie gelingt in einem so heterogenen Team die Zusammenarbeit? Findet man überhaupt eine gemeinsame Sprache?

Barbara Caspers: Ja, es ist ein Team aus vielen Individuen. Was uns alle eint, ist die Lust und das Interesse, über den Tellerrand zu schauen und voneinander zu lernen. Dabei ist die Heterogenität vielleicht sogar ein großer Vorteil. In einem solchen heterogenen Forschungsverbund sind regelmäßige Netzwerktreffen für den Austausch natürlich essenziell. Bereits beim Schreiben des Antrages ist uns aufgefallen, dass die Findung der gemeinsamen Sprache zentral ist. Was meinen wir, wenn wir von Individualisierung sprechen? Eines der Projekte befasst sich genau damit und wird sicherlich wertvolle Grundlagen schaffen.

Foto der Person: Prof. Dr. Jürgen Gadau, Institute for Evolution & Biodiversity
JICE-Direktor Prof. Dr. Jürgen Gadau von der Universität Münster.

Ist es ein Zufall, dass das JICE an den Universitäten Münster und Bielefeld angesiedelt ist?

Jürgen Gadau: Nein, Forschende aus der Biologie, der Philosophie und den Wirtschaftswissenschaften beider Universitäten arbeiten seit fünf Jahren in einem Sonderforschungsbereich zu individualisierten Nischen zusammen. Darüber hinaus fördert das Land NRW seit einem Jahr einen noch breiteren interdisziplinären Verbund von Forschenden beider Universitäten, der zum Thema Individualisierung in einer sich schnell ändernden Umwelt forscht. Das JICE dient dazu, diese Initiativen auf eine noch breitere Basis zu stellen und dieses Forschungsthema langfristig an beiden Universitäten zu verankern.

Welche Ziele hat sich das JICE gesetzt?

Barbara Caspers: Wir möchten mit dem JICE ein bisher einzigartiges Zentrum für Individualisierungsforschung schaffen, an dem Forschende über Fachdisziplinen hinweg einen Ort des wissenschaftlichen Austauschs finden. Außerdem möchten wir mit dem JICE durch ein breit aufgestelltes, interdisziplinäres Nachwuchsförderprogramm insbesondere junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erreichen und sie in ihrem Werdegang unterstützen.

Inwiefern profitieren Studierende von der Arbeit des JICE?

Barbara Caspers: Es ist ein zentrales Ziel des JICE, interdisziplinären Austausch auf allen Ebenen zu unterstützen und zu fördern. Gerade läuft beispielsweise eine Ausschreibung für interdisziplinäre Austauschstipendien. Hier können sich Doktorandinnen und Doktoranden für ein dreimonatiges Stipendium bewerben, das ihnen ermöglicht, in eine andere Disziplin zu schauen und ein bestimmtes Projekt zum Thema Individualisierung in sich ändernden Umwelten zu untersuchen. Außerdem bieten wir Summer Schools für Doktoranden und Postdoktoranden an.

Wird die Öffentlichkeit Einblicke in die Forschungsergebnisse erhalten?

Jürgen Gadau: Auf jeden Fall, denn Transdisziplinarität bedeutet ja, dass die Forschung nicht im Elfenbeinturm bleibt, sondern gezielt die Zusammenarbeit mit der breiten Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern sucht. Deshalb planen wir auch, die Ergebnisse unserer Forschung regelmäßig über verschiedene Veranstaltungsformen, soziale Medien und klassische Medienformate mit einer breiteren Öffentlichkeit zu diskutieren.