Demonstration von Frauen, die Transparente hochhalten

Die Zurückdrängung der Frauenrechte


Autor*in: Jörg Heeren

Der heutige Weltfrauentag weist darauf hin, dass die Gleichstellung der Geschlechter in Gesellschaften weltweit nicht selbstverständlich ist. Frauen- und Geschlechterrechte werden in aller Welt hinterfragt und angegriffen – oft aus politischem Kalkül. Wie und warum es dazu kommt, das erörterte eine Forschungsgruppe des Zentrums für interdisziplinäre Forschung (ZiF) seit Oktober 2020. Der Titel der Gruppe: Global Contestations of Gender and Women’s Rights (Weltweite Anfechtungen von Frauen und Geschlechterrechten). Diese Woche präsentiert sie ihre Ergebnisse. Womit sich die ZiF-Forschungsgruppe beschäftigt hat, erklärt die Amerikanistin und Genderforscherin Professorin Dr. Julia Roth in dem neuen Beitrag aus der Reihe research_tv.


Geleitet wurde die Forschungsgruppe von den Soziologinnen Privatdozentin Dr. Alexandra Scheele und Professorin Dr. Heidemarie Winkel sowie der Amerikanistin und Genderforscherin Professorin Dr. Julia Roth, alle von der Universität Bielefeld. Die Mitglieder der Gruppe analysierten die spezifischen Mechanismen und Muster von Auseinandersetzungen um Frauen- und Genderrechte in unterschiedlichen Zusammenhängen weltweit. Sie arbeiteten heraus, wie sich gesellschaftliche Strukturen auf die Geschlechterungleichheit weltweit auswirken, zum Beispiel Kapitalismus, Neoliberalismus, Nationalismen, autoritäre Staaten und fundamentalistische Religionen. Im Blick hatten sie vor allem die Effekte auf Arbeitsteilung, Staatsbürgerschaft und Religion.


Zentraler Ausgangspunkt unserer Forschungsgruppe war, dass wir gegenwärtig weltweit wieder Anfechtungen von Frauen- und Geschlechterrechten beobachten können. Einige Studien machen gerade ja so einen Rückschritt aus, also so die Idee: Frauen zurück an den Herd und nur traditionelle Geschlechterrollen.
Ich glaube nicht, dass das falsch ist, aber diese Erzählung von einem reinen Backlash ist nicht genug, um zu beschreiben, was wir gerade beobachten. Es ist immer auch das, aber es ist mehr. Wir sehen auch sogenannte dynamische Paradoxien, wo diese Opposition zu Geschlechtergleichheit oder Geschlechterrechten oder der sogenannten Genderideologie in Stellung gebracht wird; auch, um Allianzen zu schmieden zwischen verschiedenen religiösen Akteurinnen – zum Beispiel Evangelikale sind da ganz vorne dabei, aber auch der Papst, der Genderideologie als ideologische Kolonialisierung bezeichnet hat, – und oft auch in Allianz mit rechtsextremen, rechtskonservativen Akteuren.
Wir sehen durch die Verschiebungen jetzt, die auch als Neoliberalismus bezeichnet werden, dass dadurch, dass mehr Frauen in den meisten Kontexten in den Arbeitsmarkt integriert sind, die sogenannte Sorgearbeit oder Care-Arbeit, also Kinderbetreuung, Haushalt, Betreuung von Angehörigen, die ja trotzdem gemacht werden muss.
Die Frage: „Who cares?“ und gerade in unseren westlichen Gesellschaften wird darüber dann wieder Gleichheit einmal mehr hergestellt.
Und sehr oft führt das dann dazu beispielsweise, dass das nicht zu einer gleicheren Verteilung
zwischen den Geschlechtern führt, sondern zu einer Auslagerung auf diese Care-Arbeit zu ärmeren Frauen oder schlechter bezahlten Frauen, häufig aus dem globalen Süden.
Weltweit gibt es dann die “global care chains”, also dass Migrantinnen oft um diese Arbeiten zu erledigen,
in den sogenannten globalen Norden oder reichere Länder auch auswandern, weil es da einen Bedarf gibt. Und sie dann ihre Position im Heimatland sozusagen verstärken können, sozial mobiler werden können.
Für die Forschungsgruppe war es ganz zentral, Geschlecht auch in der Verschränkung mit anderen Ungleichheitsachsen zu denken, gerade auch in dieser interdisziplinären, globalen Dimension und da ist so der Begriff Intersektionalität als Fachbegriff – der kommt von afroamerikanischen Feministinnen – sehr hilfreich wie ich finde, weil Intersektionalität meint, dass sich verschiedene Diskriminierungsformen oder -achsen gleichzeitig artikulieren. Zum Beispiel ist jemand, der auch von Rassismus betroffen ist auch ganz anders vergeschlechtlicht als jemand, der da privilegiert positioniert ist.
Oder Sexualität wäre noch was anderes, oder sozialer Status, Klasse in der klassischen Soziologie.
Da können wir noch viel lernen denke ich, da gibt es gerade viele soziale Bewegungen, die das zentral setzen: „Black lives matter“ wäre ein Beispiel oder auch „Ni una menos“ in Lateinamerika oder die „Women’s marches“, die mit der Wahl von Donald Trump ansetzten. Die ja gerade auch Frauen in Stellung bringen, die jetzt nicht nur eine dominante weiße Position beispielsweise vertreten.
Und gerade auch in Deutschland denke ich für die Gleichstellung wäre das ein Riesenschritt nach vorne, wenn wir über die Gleichstellung von Frauen und Männern hinaus, die ja dann doch zumindest in den Institutionen immer noch vorherrschend ist, wenn wir dahin kämen.
Auf ihrer Abschlusskonferenz mit dem Titel „Conflicts over Women’s and Gender Rights: Ambivalences and Contradictions“ (Konflikte um Frauen- und Geschlechterrechte: Ambivalenzen und Widersprüche), stellen die Forschenden nun ihre Ergebnisse vor. Die Tagung wird von Donnerstag bis Samstag, 10. bis 12. März, in hybrider Form ausgerichtet: Ein Teil der Gruppe ist vor Ort am ZiF, weitere Mitglieder beteiligen sich per Videoschalte. Für die Öffentlichkeit hat die Forschungsgruppe zudem eine Filmvorführung und eine Buchvorstellung organisiert.

Auf ihrer Abschlusskonferenz mit dem Titel „Conflicts over Women’s and Gender Rights: Ambivalences and Contradictions“ (Konflikte um Frauen- und Geschlechterrechte: Ambivalenzen und Widersprüche), stellen die Forschenden nun ihre Ergebnisse vor. Die Tagung wird von Donnerstag bis Samstag, 10. bis 12. März, in hybrider Form ausgerichtet: Ein Teil der Gruppe ist vor Ort am ZiF, weitere Mitglieder beteiligen sich per Videoschalte. Für die Öffentlichkeit hat die Forschungsgruppe zudem eine Filmvorführung und eine Buchvorstellung organisiert.

„Lange Zeit setzen sich viele in der Politik dafür ein, die Gleichheit von Menschen aller Geschlechter umzusetzen“, berichtet Julia Roth. „Heute ist es wieder ein großes Streitthema, ob diese Gleichheit überhaupt gewollt ist.“ Auf ihrer Abschlusskonferenz beleuchtet die Gruppe besonders die zentralen Muster und gemeinsamen Elemente in den Konflikten um Frauen- und Genderrechte. So wollen die Forschenden die Mechanismen dieser Auseinandersetzungen besser verstehen. „Vor allem die Ambivalenzen, Widersprüche und Spannungen zwischen dem, was in den Kämpfen um Gleichberechtigung erreicht wurde, und den aktuellen Rückschlägen und Angriffen interessieren uns sehr“, sagt Roth.

Neue Allianzen zielen  darauf, die Frauenrechte zu schwächen

Wenn es um Angriffe auf Frauen- und Geschlechterrechte geht, beobachten Julia Roth und ihre Kolleg*innen der Forschungsgruppe „dynamische Paradoxien“. Solche Verbindungen von scheinbar widersprüchlichen Faktoren zeigen sich laut Roth zum Beispiel bei Akteur*innen aus dem rechtskonservativen oder rechtsextremen Spektrum. „Diese Akteur*innen setzen sich in ihrem eigenen politischen Kontext vordergründig für die Freiheit und Rechte von Frauen ein“, sagt Julia Roth. „Häufig verfolgen sie damit aber anti-migrantische und rassistische Ziele – etwa die Abwehr von Immigration, indem Einwanderung als Gefahr der sexualisierten Gewalt und als Angriff auf Frauen und teilweise auch LGBTQ-Personen dargestellt wird. Grundsätzlich vertreten solche Akteur*innen aber zumeist ein konservatives Familienbild.“ Im neuen research_tv-Interview (Video oben im Beitrag eingebettet) weist Roth darauf hin, dass in der Opposition gegen Geschlechtergleichheit und Geschlechterrechte neue Allianzen entstanden sind.

„Indem Politiker*innen die Geschlechtergleichheit angreifen, knüpfen sie neue Bündnisse mit weiteren Gruppen in der Gesellschaft, die damit auf einer Linie sind“, erläutert Heidemarie Winkel. „Evangelikale und katholische Gruppierungen in Lateinamerika und in den USA wenden sich zum Beispiel gegen Abtreibung als Frauenrecht oder gegen die Erziehung zu geschlechtlicher Vielfalt. Politiker*innen machen sich diese Positionen zu Eigen, um von Anhänger*innen der Kirchen gewählt zu werden. Auf diese Weise wird Religion instrumentalisiert, um sich politische Macht zu sichern und konservative, nationalistische Familienvorstellungen durchzusetzen.“

Mit Diskriminierung zu billiger Arbeitskraft

Die Abwertung von Frauen und anderer Geschlechtergruppen dient nicht allein dem Machtgewinn von Politiker*innen. „Sie sorgt auch dafür, dass Frauen ihre Arbeitskraft billig oder unbezahlt bereitstellen“, erklärt Alexandra Scheele. Ein Großteil der Länder in Lateinamerika hat mit einer instabilen Wirtschaft zu kämpfen. Zusätzlich muss ein großer Teil der Bevölkerung dort, ebenso wie in den USA, ohne soziale Absicherung auskommen. Und auch in Europa übernehmen zumeist Frauen die schlecht oder unbezahlte Sorgearbeit. „Wenn Kinder, Ältere oder Kranke versorgt werden müssen, übernehmen das in der Regel Frauen – als Fürsorgearbeiten zu Hause oder in der Familie“, sagt Scheele. „Und die Frauen, die einer betrieblichen Arbeit nachgehen, sind oft benachteiligt, weil sie entweder im Vergleich zu Männern unterbezahlt sind oder in gering entlohnten ,Frauenberufen‘ im Einzelhandel, der Pflege oder auch der Reinigungsbranche arbeiten.“

Rahmenprogramm mit Filmvorführung und Buchvorstellung

In der Forschungsgruppe war auch die Veränderung von Gleichheitskonzepten ein wichtiges Thema. „Hier haben wir sehr von der internationalen Zusammensetzung der Gruppe profitiert“, so Heidemarie Winkel. „Aus der Perspektive einer pakistanischen, brasilianischen oder nigerianischen Forscher*in stellen sich oft noch einmal ganz andere Fragen als aus europäischer Sicht.“

Das Rahmenprogramm der Tagung bilden zwei öffentliche Veranstaltungen:

  • Im Bielefelder Kino „Lichtwerk“ wird heute, 8. März, um 17 Uhr der Film „God exists, her name is Petrunya“ von Teona Strugar Mitevska gezeigt (Mazedonien, 2019). Die Regisseurin wird beim anschließenden Gespräch zugeschaltet sein.
  • Die Leiterinnen der Forschungsgruppe stellen am 9. März im ZiF das von ihnen herausgegebene Buch“ Global Contestations of Gender Rights“ (Transcript Verlag 2022) vor.

Frauen*- und Geschlechterrechte

Die Menschenrechte sollen zwar für alle Menschen gelten. Tatsächlich leben Frauen* aber häufiger als Männer in Armut, erfahren beruflich und privat mehr Gewalt und haben einen schlechteren Zugang zu Eigentum, Ausbildung und Arbeitsplätzen. Der Begriff Frauenrechte betont diesen Rückstand. Steht ein Sternchen hinter „Frauen“ bezieht sich das auf alle Personen, die sich als „Frau“ verstehen und von anderen so gesehen werden. Der Begriff „Geschlechter“ umfasst alle Geschlechtsidentitäten.

Fellows der Gruppe kamen aus 14 Ländern

Die Forschungsgruppe führte insgesamt 20 interdisziplinäre Fellows aus 14 Ländern am Zentrum für interdisziplinäre Forschung zusammen. Fellows heißen die Mitglieder von ZiF-Forschungsgruppen. Sie leben meist für ein Jahr am ZiF, um gemeinsam an ihrem Thema zu arbeiten. Die ZiF-Forschungsgruppen sind längerfristige, interdisziplinäre Projekte und stehen im Mittelpunkt der Arbeit des ZiF. Neben regelmäßigen Arbeitstreffen veranstalten die Forschungsgruppen Konferenzen, Workshops und Vorträge.