Ein internationales Forschungsteam von rund 100 Astronom*innen aus 14 Ländern hat eine neue Himmelskarte mit 4,4 Millionen Galaxien veröffentlicht. Sie alle wurden erstmals im Radiowellenbereich sichtbar gemacht. Eine Million dieser Galaxien war zuvor sogar vollkommen unbekannt. Sieben Jahre lang sammelte das Team, an dem auch die Universität Bielefeld beteiligt ist, Daten mit dem europäischen Radioteleskop LOFAR (Low Frequency Array). Die Forschenden kartierten ein Viertel des nördlichen Himmels im Radiowellenbereich. Jetzt, da dieser Datenschatz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, kann jede*r die exotischsten Wunder des Universums in einem völlig neuen Licht betrachten.
Die Überreste einer Supernova, Cygnusbogen genannt, sind hier im Radio-, UV- und Röntgenbereich gezeigt. Sie befinden sich in der Milchstraße. Dorthin wird sich der Blick von LOFAR in Zukunft wenden. Das Radioteleskop beginnt gerade, unsere eigene Galaxie zu erforschen. Foto: Jennifer West Die meisten Objekte in der neuen Himmelskarte sind Milliarden Lichtjahre entfernt. In der Regel handelt es sich um Galaxien, die in ihrem Zentrum massereiche Schwarze Löcher oder Gebiete sehr starker Sternbildung beherbergen. Seltener sind auch Gruppen von kollidierenden Galaxien und Objekte aus unserer eigenen Milchstraße, wie Sterne mit Strahlungsausbrüchen, sogenannte Flare-Sterne.
Datensatz hat eine Größe von acht Petabyte
Mit dem Datensatz ließen sich die Festplatten von ungefähr 20.000 Laptops füllen. Er ist acht Petabyte groß und umfasst Aufnahmen von 3.500 Beobachtungsstunden. Das sind 27 Prozent der Daten, die dieses LOFAR-Projekt insgesamt erheben wird. Die Forschenden sind sicher, dass sich daraus noch viele neue Erkenntnisse ergeben werden. So ermöglichen es die Messungen zum Beispiel zu erforschen, wie Schwarze Löcher entstehen oder welche physikalischen Prozesse der Entstehung von Sternen zugrunde liegen.
Die LOFAR-Daten stehen Forschenden weltweit für die weitere Auswertung zur Verfügung und wurden auch in den vergangenen Jahren bereits von zahlreichen Gruppen für die wissenschaftliche Arbeit genutzt. An der Universität Bielefeld arbeitet die Arbeitsgruppe Astroteilchen und Kosmologie von Professor Dr. Dominik Schwarz mit diesen Daten. Die Bielefelder Forschenden beschäftigen sich vor allem mit der Verteilung der Radiogalaxien im Universum. „Die Verknüpfung der neuen LOFAR-Daten mit Beobachtungen derselben Galaxien im sichtbaren und infraroten Licht wird uns neue Einblicke in die Eigenschaften der noch unverstandenen dunklen Energie und neue Einsichten zur Entstehung von Galaxien und noch größeren Strukturen im Universum liefern“, sagt Dominik Schwarz.
Zum Radioteleskop gehören 52 Stationen in Europa
Die Jellyfish-Galaxie NGC 4858 im sichtbaren Licht und Radiowellenbereich: Sie verdankt ihre Bezeichnung der Tatsache, dass sie durch ein dichtes Medium fliegt, das Material aus der Galaxie abstreift, sodass ein Schweif entsteht. Foto: Ian Roberts Das LOFAR-Teleskop, durch das die neuen Entdeckungen möglich wurden, ist das größte Radioteleskop, das je gebaut wurde. Die Empfängerstationen des Teleskops sind über acht Länder in Europa verteilt. Mehrere deutsche Institute des German Long Wavelenght (GLOW) Konsortiums betreiben sechs LOFAR-Stationen in Deutschland. Zu den sechs Stationen in Deutschland gehört das Empfangsfeld in Norderstedt nahe Hamburg. Es wurde von der Arbeitsgruppe von Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Marcus Brüggen von der Sternwarte in Hamburg geplant und wird heute von den Hamburger und Bielefelder Wissenschaftler*innen betrieben. 192 Antenneneinheiten, bestehend aus über 3.000 Einzelantennen empfangen die Signale aus dem Weltall. Die 52 LOFAR-Stationen in Europa sind über ein Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz miteinander verbunden. Von leistungsstarken Supercomputern werden ihre Messsignale zu einem einzigen Signal kombiniert.
Gefördert werden die technische Entwicklung und die Forschung mit den LOFAR-Daten in Deutschland von der Max-Planck-Gesellschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den zuständigen Ministerien der beteiligten Bundesländer, darunter das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, und von der Europäischen Uni-on. Die umfangreichste Förderung kommt vom BMBF – aktuell durch die Co-Finanzierung des Verbundprojekts „D-LOFAR IV – Eine deutsche Beteiligung am Internationalen LOFAR-Teleskop“, an dem die Universität Bielefeld beteiligt ist.
Originalveröffentlichung:
Timothy Shimwell et al: The LOFAR Two-metre Sky Survey (LoTSS). V. Second data release. Astronomy & Astrophysics, https://doi.org/10.1051/0004-6361/202142484, online erschienen am 25. Februar 2022.
Weitere Informationen:
• Website zu den LOFAR-Himmelsdurchmusterungen
• „Unbekannte Galaxien per Mausklick erforschen“ (Pressemitteilung vom 26. Februar 2020)
• „Neue Himmelskarte veröffentlicht“ (Pressemitteilung vom 19. Februar 2019)