Hohes Interesse an Auseinandersetzung mit NS-Zeit


Autor*in: Universität Bielefeld

Junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren haben ein hohes Interesse an einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, grenzen sich von revisionistischem Gedankengut aber nicht klar ab. Das zeigen erste Ergebnisse der MEMO-Jugendstudie. Die Studie wird vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld durchgeführt und von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) aus ihren Stiftungsmitteln gefördert. Mehr als drei Viertel der Befragten (76,5 Prozent), und damit mehr als in der deutschen Allgemeinbevölkerung, finden es sinnvoll, sich auch heute noch mit der NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die vollständige MEMO-Jugendstudie wird, nach einer weiteren Datenerhebung im Spätsommer, voraussichtlich im Frühjahr 2023 veröffentlicht.

Obwohl die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte mehrheitlich als wichtig eingeschätzt wird, gibt fast die Hälfte der Befragten (48,5 Prozent) an, dass sie sich bisher „eher wenig“ oder „überhaupt nicht“ mit Bezügen zur NS-Zeit in der eigenen Familiengeschichte befasst hat.

„Das bedeutet, dass viele der Befragten die Rolle ihrer Vorfahren bei den Verbrechen des Nationalsozialismus nicht einordnen können, aber auch, dass Familienbiographien in der pluralistischen Gesellschaft nicht der entscheidende Kontext und Anlass sind, um sich mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen“, sagt Professor Dr. Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. „Es gibt ein großes Bedürfnis nach anderen Lernkontexten und -angeboten und danach, aktuelle Gesellschaftsthemen historisch einzuordnen“, ergänzt Zick. Außer ihm gehören die IKG-Forschenden Michael Papendick, Dr. Jonas Rees und Maren Scholz zum Team der MEMO-Studie.

Bild der Person: Professor Dr. Andreas Zick, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld
„Familienbiographien sind für junge Menschen nicht der zentrale Anknüpfungspunkt an die NS-Geschichte. Auch deshalb braucht es vielfältige Lernangebote, um die Erinnerung wachzuhalten und aktuelle Gesellschaftsthemen historisch einzuordnen zu können“, sagt Prof. Dr. Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Foto: Universität Bielefeld

Viele der Befragten sorgen sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland (62,2 Prozent). Sie erleben das Ausmaß, in dem Menschen in unserer heutigen Gesellschaft diskriminiert und ausgegrenzt werden, als besorgniserregend (59,6 Prozent).

Unmittelbare Vergleiche von Grundrechtseinschränkungen während der Corona-Pandemie mit der Diktatur des NS lehnen mit 67,2 Prozent die meisten Befragten ab. Jedoch empfindet jede*r fünfte befragte Jugendliche (22,6 Prozent) derartige Vergleiche als berechtigt oder grenzt sich nicht eindeutig von ihnen ab. „Wir finden bei einem Teil der Befragten in unseren Studien fehlende Abgrenzung gegenüber revisionistischen und verschwörungsideologischen Einstellungen, auch unter jungen Erwachsenen. Hier scheint eine weitere Sensibilisierung nötig, da diese Perspektiven Einfallstore für rechtes und menschenfeindliches Gedankengut sein können“, sagt der Michael Papendick, Koordinator des Projekts MEMO.

MEMO steht für Multidimensionaler Erinnerungsmonitor. Die aktuelle Studie knüpft an die MEMO-Studien zwischen 2018 und 2021 zu Dimensionen der Erinnerungskultur in Deutschland an. Befragt wurden 3.485 repräsentativ ausgewählte junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren im Spätsommer 2021. Eine zweite Befragung im Spätsommer 2022 wird potenzielle Einstellungsänderungen empirisch abbilden. Vorgelegt wird die Gesamtstudie im Frühjahr 2023.

Die Studie wurde anlässlich der Einführung eines neuen Bundesvorhabens für lebendiges Erinnern und gegen Ausgrenzung vorgestellt. Das neue Förderprogramm trägt den Titel „Bildungsagenda NS-Unrecht“. Es handelt sich um eine gemeinsames Programm des Bundesministeriums der Finanzen und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Gefördert werden ausgewählte Projekte für geschichtsbewusstes, lebendiges Erinnern an die nationalsozialistische Verfolgung und gegen Ausgrenzung und Diskriminierung.

„Wir müssen mit unserer Arbeit die Gesellschaft stark und wach machen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die Ansätze der Bildungsagenda NS-Unrecht sind hierfür ein gutes Mittel, denn sie helfen gegen erstarkende Angriffe auf Menschenwürde und Demokratie“, sagte Annette Schavan, Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, am 25. Januar bei der Vorstellung des neuen Förderprogramms in Berlin.

„Die MEMO-Jugendstudie bringt die Empirie, die Bildungsagenda die Ansätze, wie wir junge Menschen zu Träger:innen der Erinnerungskultur machen“, erklärte Dr. Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung EVZ.

Erste Auszüge aus den Ergebnissen der aktuellen MEMO-Studie sind hier abrufbar.