Der Transregio-Sonderforschungsbereich „Stark-wechselwirkende Materie unter extremen Bedingungen“, eine gemeinsame Initiative der Technischen Universität Darmstadt, der Goethe-Universität Frankfurt und der Universität Bielefeld, untersucht seit Juli 2017 die extremsten Zustände der im Universum vorgefundenen Materie. Nun fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) diesen Transregio (SFB-TRR) 211 für weitere vier Jahre mit 8,9 Millionen Euro. Die DFG hat heute außerdem gemeldet, dass auch ein Sonderforschungsbereich der Universität Bielefeld (SFB 1283) verlängert und ein neuer Transregio-Sonderforschungsbereich (SFB-TRR 318) bewilligt wird, an dem die Universität Bielefeld beteiligt ist.
„Durch die jetzige Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft gehören künftig fünf Sonderforschungsbereiche zur Universität Bielefeld. Fächerübergreifende Verbundforschung zu großen Fragen der heutigen Zeit spielt eine große Rolle für unsere Universität“, sagt Professor Dr.-Ing. Gerhard Sagerer, Rektor der Universität Bielefeld. „Ich gratuliere allen Wissenschaftler*innen, die an den drei SFB-Anträgen beteiligt sind, zu dem großen Erfolg und der exzellenten Bewertung durch die externen Gutachter*innen.“
Neuer Sprecher des Transregio-Sonderforschungsbereichs zu stark-wechselwirkender Materie ist Professor Dr. Guy Moore, Kernphysiker an der Technischen Universität Darmstadt. Er übernimmt diese Funktion von Professor Dr. Dirk Rischke, der an der Goethe Universität Frankfurt forscht und lehrt.
Was passiert, wenn man normale Materie so stark komprimiert oder aufheizt, dass sich die Atomkerne überlappen und miteinander verschmelzen? Die Materie geht dann in einen neuen Zustand über, dessen Eigenschaften von der „starken Wechselwirkung“ bestimmt werden, also der Kraft, welche die Protonen und Neutronen im Atomkern aneinander kettet. Diese starke Wechselwirkung sorgt insbesondere auch für die Bindung zwischen den inneren Bausteinen der Protonen und Neutronen – den Quarks und Gluonen –und diese fundamentalen Bausteine markieren letztlich auch die Eigenschaften der Materie unter äußerst extremen Bedingungen.
Solche jegliche Grenzen sprengenden Umgebungseinflüsse – etwa Temperaturen über eine Billion Grad und Dichten von mehr als einhundert Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter, das sind um viele Potenzen höhere Werte als im Zentrum der Sonne – werden in Schwerionen-Stößen erreicht, die gegenwärtig am „Relativistic Heavy Ion Collider“ (RHIC) in New York, am „Large Hadron Collider“ (LHC) am CERN in Genf sowie in naher Zukunft an der Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt experimentell untersucht werden. Darüber hinaus herrschen solche Bedingungen auch bei Zusammenstößen und der Verschmelzung von Neutronensternen, die zu den gewaltigsten astrophysikalischen Ereignissen zählen und 2017 erstmals durch die Messung von Gravitationswellen nachgewiesen wurden. Ähnliche Bedingungen gab es auch in den ersten 10 Mikrosekunden nach dem Urknall und haben deshalb Auswirkungen auf die heutige Struktur und den Inhalt des Universums.
Gründe genug also, die theoretische Basis stark-wechselwirkender Materie intensiver zu erforschen und ihr Verhalten in Experimenten, Astrophysik und Kosmologie vorherzusagen. Das geschieht im SFB-TRR 211, einer Kollaboration von 24 Projektleiter*innen und ihren Arbeitsgruppen, insgesamt sind mehr als 100 Forschende in 13 Teilprojekten beteiligt. In groß angelegten numerischen Simulationen auf Supercomputern sichern sie im Rahmen der so genannten Gitter-Eichtheorie sowie in analytischen Zugängen zur Theorie der starken Wechselwirkung die Fundamente für ein vertieftes Verständnis ab. Zugleich verbinden sie die theoretischen Fortschritte mit spezifischen experimentellen und astrophysikalischen Effekten. Diese kombinierte Expertise der Wissenschaftler*innen aus den drei Partner-Universitäten ist weltweit einzigartig.
„Die Resultate unserer analytischen Berechnungen und numerischen Simulationen sind zum Beispiel relevant, um die Entwicklung des frühen Universums und die Prozesse im Inneren dichter Sterne besser zu verstehen“, erklärt der Physiker Prof. Dr. Frithjof Karsch. Er ist einer der stellvertretenden Sprecher des SFB-TRR 211 und ist für die Koordination der zehn Teilprojekte zuständig, an deren Leitung acht Forscher der Universität Bielefeld beteiligt sind.
Der neue Sprecher des SFB-TRR 211, Professor Dr. Guy Moore, sagt: „Wir sind begeistert, dass die DFG unsere Expertise und die harte Arbeit der letzten Jahre anerkannt hat und freuen uns darauf, unsere Forschung bis Mitte 2025 – und perspektivisch hoffentlich auch in einer dritten Förderperiode – fortsetzen zu können.”
Fünf Sonderforschungsbereiche an der Universität Bielefeld
Durch die neuen Beschlüsse der Deutschen Forschungsgemeinschaft steigt die Zahl der Sonderforschungsbereiche an der Universität Bielefeld von vier auf fünf. Der Transregio-Sonderforschungsbereichs (SFB-TRR) 211 zu den Wechselwirkungen von Materie unter extremen Bedingungen wird durch die Verlängerung bis Mitte 2025 gefördert. Ebenfalls wird der SFB 1283 zur Erforschung des Zufalls um vier Jahre verlängert. Neu bewilligt wurde jetzt der Transregio-Sonderforschungsbereich (SFB-TRR) 318 zur Erklärbarkeit von künstlicher Intelligenz (KI), für den die Universitäten Bielefeld und Paderborn kooperieren. Bereits Ende 2020 wurde der SFB 1288 der Universität Bielefeld verlängert, der sich mit den historisch variablen Praktiken des Vergleichens beschäftigt. In einem weiteren Transregio-Sonderforschungsbereich (SFB/TRR 212) wird erforscht, warum Tiere ganz individuell ihre eigene, unverwechselbare Nische im Ökosystem wählen. Für den Verbund kooperieren die Universitäten Bielefeld und Münster seit 2018.
Sonderforschungsbereiche (SFB) sind langfristig angelegte Forschungseinrichtungen der Universitäten, in denen Wissenschaftler*innen im Rahmen eines fächerübergreifenden Forschungsprogramms zusammenarbeiten. Sie werden von der DFG finanziert und ermöglichen die Bearbeitung anspruchsvoller, aufwendiger und langfristig konzipierter Forschungsvorhaben. Die Dauer der Förderung beträgt im Idealfall zwölf Jahre, wobei eine Förderperiode vier Jahre umfasst.