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Wie Musik in Amerika für politische Umbrüche sorgt


Autor*in: Florian Forth

Reggae-Pionier Bob Marley betritt am 22. April 1978 beim One Love Peace Concert in Kingston, Jamaika, die Bühne. Zu dem Song „Jammin“ bittet er Premierminister Michael Manley und dessen politischen Rivalen Edward Seaga zu sich auf die Bühne – und bringt sie zu einem symbolischen Handschlag. „Dieser ikonische Moment wendete einen potenziellen Bürgerkrieg in dem Karibikstaat ab“, sagt Professor Dr. Wilfried Raussert vom Center for InterAmerican Studies (CIAS) der Universität Bielefeld.

Prof. Dr. Wilfried Raussert
„Musikstars nutzen schon seit vielen Jahrzehnten Großveranstaltungen, um politische Botschaften zu verbreiten“, sagt Wilfried Raussert. Foto: Universität Bielefeld/M.-D. Müller

Mit solchen Wechselwirkungen von Musik und Politik in den Amerikas befasst sich der Sammelband mit dem Titel „Sonic Politics“, den Raussert gemeinsam mit dem Bielefelder Historiker Professor Dr. Olaf Kaltmeier herausgebracht hat. „Dahinter steckt die Idee, dass Musik gesellschaftspolitische und politische Bedeutung hat“, sagt Raussert. Doch der Kampf für Demokratie findet nicht immer auf der großen Bühne statt.

Raussert, selbst Musiker, hat sich für das Buch den „Fandango ohne Grenzen“ im Grenzgebiet der USA zu Mexiko angeschaut. „Dabei wird auf beiden Seiten des Grenzzauns musiziert und getanzt“, sagt der Professor für Amerikastudien. Über Lichtsignale tauschen die Teilnehmer*innen zudem Informationen zu verschwundenen Verwandten aus. „Das ist auch eine Protestbewegung gegen die Idee der Mauer von Donald Trump.“

Musik als Seismograf für soziale Bewegungen

„In den USA ist Musik bereits lange sozial verwoben“, sagt Raussert, „zum Beispiel in den bekannten Field-Songs auf den Baumwollfeldern der Südstaaten.“ Doch politisch genutzte Musik lässt sich nicht auf eine Handvoll Genres eingrenzen. Ab den 1920er-Jahren war es der Blues, zwei Dekaden später waren es Balladen wie „This Land is Your Land“ der Folk-Legende Woody Guthrie, die Ausgrenzung thematisierten. Auf den Vorreiter der Protest-Folk-Bewegung bezog sich in den 1960er-Jahren auch Bob Dylan. In Lateinamerika machte das Volk zeitgleich mit der Protestmusik Nueva Canción („Neues Lied“) auf Missstände aufmerksam, sagt Olaf Kaltmeier.

Heute gelten afrostämmiger Rap und Hip-Hop als Bindeglied von Musik und Politik in den Amerikas. Raussert und Kaltmeier stellen in ihrem Buch fest: „Musik ist auch ein Seismograf für soziale Bewegungen.“ Einer der wichtigsten Faktoren sei die große Bedeutung der Musik bei der Gemeinschaftsbildung, sagt Raussert.

Für einen Workshop holte Wilfried Raussert (hinten links) 2019 amerikanische Musiker*innen nach Bielefeld: den US-amerikanischen Sänger und Rapper Aloe Blacc (Mitte), die mexikanisch-australische Rapperin Maya Jupiter (links) und den Chicano, Bandleader und Grammy-Gewinner Quetzal Flores (hinten rechts). Foto: M. Steinitz

„Eine extrem provokante Bühnenperformance“

Heute nutzen weltbekannte Stars wie der Grammy-Preisträger Kendrick Lamar gezielt Großevents, um politische Botschaften an ein Massenpublikum zu senden. Bei den Grammys 2016 schlurfte die Rap-Ikone in Ketten auf die Bühne, seine Musiker waren in Käfige gesperrt. „Diese extrem provokante Bühnenperformance war ein Rückverweis auf afroamerikanische Geschichte, auf Versklavung, aber auch auf die Situation junger schwarzer Männer in den USA, die für nichts ins Gefängnis gesteckt werden“, kommentiert Raussert. Diese politische Botschaft habe eine starke Wirkung auf die „Black Lives Matter“-Bewegung, die sich mittlerweile nach Brasilien, Mexiko und Kanada ausbreitet.

Künftig, prognostiziert Raussert, werde vielleicht ausgerechnet das Genre wieder eine stärkere Bedeutung bekommen, mit dem bereits Bob Marley 1978 Großes angestoßen hatte: „Der Reggae ist für Freiheitskämpfe und Jugendkulturen in Afrika neu entdeckt worden.“ Dort könnte die Musik nun in anderem Kontext erneut ihre Wirkung entfalten.

Dieser Artikel stammt aus „BI.research“, dem Forschungsmagazin der Universität Bielefeld. Hier gibt es die neue Ausgabe des Magazins.