Weltweit gesehen ist Tuberkulose eine häufige Erkrankung, die vor allem in Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen vorkommt und oft auf armutsbedingte Lebensverhältnisse zurückzuführen ist. In Deutschland tritt die Erkrankung mit 4,7 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner selten auf. Ein Großteil der Erkrankten sind Personen aus Ländern mit höherem Tuberkuloseaufkommen. Daher führen einige Staaten bereits bei der Einreise Untersuchungen auf eine mögliche Tuberkuloseerkrankung durch. Ein Team internationaler Wissenschaftler*innen um den Bielefelder Professor Dr. Kayvan Bozorgmehr hat sich damit beschäftigt, ob eine einzelne Untersuchung einreisender Personen nach Ankunft ausreichend ist oder ob es Nachuntersuchungen geben bzw. wie diese gestaltet sein sollten. Die Studie ist in der medizinischen Fachzeitschrift PlosMedicine erschienen.
Eine Tuberkuloseinfektion kann jahrelang ohne Symptome und daher unbemerkt bleiben. Da sie weltweit gesehen häufig vorkommt, führen einige Staaten bei einreisenden Personen Untersuchungen durch, um mögliche Erkrankungen früh zu erkennen.
„Aus internationalen Studien ist bekannt, dass eine Tuberkuloseinfektion bei der Einreise unentdeckt bleiben kann. In solchen Fällen kommt es vor, dass sich die Erkrankung erst innerhalb der ersten zwei bis vier Jahre nach Einreise und bedingt durch ungünstige Lebensbedingungen bemerkbar macht“, erklärt Bozorgmehr. Daher gibt es in einigen Ländern zusätzlich zu einer initialen Untersuchung ein Follow-up-Screening – das heißt, es werden jene Personen erneut untersucht, bei denen zwar keine Tuberkulose-Erkrankung festgestellt wurde, die aber möglicherweise gefährdet sind, an einer Tuberkulose im Verlauf zu erkranken.
© Britta Kirst/MAKI Photo Lab
Die Wirksamkeit solcher Nachuntersuchungen ist seit Jahren bekannt. Allerdings gab es bisher keine Untersuchung, wie solche Maßnahmen sinnvollerweise aufgebaut sein sollten und wie unterschiedliche Formen der Nachuntersuchung die Wirksamkeit beeinflussen. „Wir haben daher die Umsetzungsmerkmale unterschiedlicher Programme weltweit untersucht, und diese mit Blick auf Teilnahmequoten sowie Fallfindungsraten verglichen“, sagt Dr. Katharina Wahedi, Erstautorin der Studie: „Insbesondere haben wir untersucht, ob verpflichtende Programme Vorteile gegenüber freiwilligen aufweisen, und welchen Mehrwert mehrfache Nachuntersuchungen gegenüber einer einmaligen Nachuntersuchung haben.“
Verpflichtende Programme liefern keine besseren Ergebnisse
„Unsere Untersuchung zeigt, dass verpflichtende Programme zur Nachuntersuchung auf Tuberkulose nach Einreise zwar teilweise eine höhere Teilnahmequote erzielen können, jedoch hinsichtlich der Fallfindungsrate keine besseren Ergebnisse erzielen“, fasst Bozorgmehr die zentralen Befunde der Studie zusammen. Der Epidemiologe beurteilt freiwillige Programme daher nicht nur als ebenbürtig, sondern auch ethisch und rechtlich als angemessener, da die zu untersuchenden Personen zum Zeitpunkt der Untersuchung als gesund gelten. Außerdem scheinen laut Bozorgmehr mehrfache Nachuntersuchungen keine nennenswert besseren Ergebnisse zu erzielen als nur ein einziges Follow-up-Screening.
Herausforderungen beim Vergleich internationaler Studien
Die Wissenschaftler*innen recherchierten systematisch in der wissenschaftlichen Literatur, um Studien zu Programmen für Follow-Up-Screenings zu identifizieren. „Wir fanden 23 Studien, welche unsere Einschlusskriterien erfüllten“, sagt Wahedi. Es habe sich gezeigt, dass die einzelnen Programme jeweiliger Staaten voneinander stark abweichende Konzepte der Nachuntersuchung aufweisen. Auch ist die Umsetzung sowohl zwischen als auch innerhalb der Staaten jeweils sehr unterschiedlich. Dies sei zwar hilfreich, um zu verstehen, welche Strategien besser funktionieren und was ein sinnvoller Aufbau eines Follow-Up-Programms sein könnte, erklärt Wahedi. „Allerdings haben sich die Studien zum Beispiel stark darin unterschieden, welche Personen als gefährdet eingestuft wurden. Solche uneinheitlichen Kriterien erschweren es, die Studien zu vergleichen.“
Anwendung in der Praxis
In Deutschland beschränkt sich die proaktive Fallfindung der Tuberkulose ausschließlich auf Personen, die gemeinschaftlich untergebracht werden. Das betrifft unter anderem Geflüchtete sowie Wohnungslose. Dabei werden jedoch individuelle Faktoren einer Gefährdung nicht berücksichtigt, sondern die Untersuchung erfolgt pauschal und verpflichtend, und zudem nur einmalig. „Ein nur einmaliges Screening auf Tuberkulose greift aber womöglich zu kurz“, sagt Kayvan Bozorgmehr. „Nur ein kleiner Anteil der mit Tuberkulose infizierten Menschen wird hierdurch entdeckt. Eine Erkrankung wird meist erst dann erkannt, wenn sich bereits stärkere Symptome entwickelt haben und sie auch weiter fortgeschritten ist.“
Um eine frühere Behandlung und damit eine bessere Prognose sowie geringere Behandlungskosten zu erreichen, regen die Autor*innen in ihrer Studie an, proaktive Strategien zur Fallfindung auszubauen. Bozorgmehr beschreibt: „Aus einer bevölkerungsmedizinischen Perspektive ist daher eine freiwillige Nachuntersuchung, die auf angemessener Aufklärung und Einwilligung basiert und gut in das Gesundheitssystem integriert ist, ein sinnvoller Baustein nationaler Programme zur Tuberkulosekontrolle. Bislang gibt es keine Daten, die zeigen, dass verpflichtende Programme bessere Ergebnisse erzielen als freiwillige. In Anbetracht der ethischen und rechtlichen Konsequenzen verpflichtender medizinischer Untersuchungen sind solche Pflichtuntersuchungen daher in Frage zu stellen.“ Die Studie wurde finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Weitere Informationen:
Website der Arbeitsgruppe Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung